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Nacht

Nacht

Titel: Nacht
Autoren: Richard Laymon
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geschwommen und bestimmt nicht daran gedacht hatte, dass ich ihm dabei zusah. Ich hatte sogar ein paarmal mitgekriegt, dass Serena und Charlie in Sommernächten nackt im Pool gebadet hatten. Dabei hatten sie natürlich nie das Licht angemacht und sich nur im Flüsterton unterhalten, aber nach dem Schwimmen hatten sie sich jedes Mal geliebt. Sie taten es auf dem Rasen neben dem Pool. Offenbar glaubten sie entweder, ich hätte geschlafen oder ich wäre blind. Und dabei sah ich ihnen die ganze Zeit über von meinem Fenster aus zu.
    Ich sah öfter aus dem Fenster, als sie annahmen, aber ich hatte dabei noch nie einen Fremden im Pool gesehen.
    Bis in jener Nacht.
    Minutenlang hatte er sich jetzt nicht bewegt und sich vom Wasser tragen lassen, sodass ich mich fragte, ob er vielleicht doch eingeschlafen war. Wenn das allerdings der Fall war, musste er einen ziemlich geilen Traum haben.
    Und dann klingelte auf einmal das Telefon.
    Es war weit nach Mitternacht, und es schrillte grell und laut durch das stille Wohnzimmer.
    Ich fuhr zusammen und stieß vor Schreck einen leisen Schrei aus.
    Draußen im Pool schnellte der Kopf des Fremden zur Seite.
    Obwohl ich seine Augen nicht sehen konnte, wusste ich genau, dass er mich direkt anstarrte.

    Das Telefon
    Ohne Licht im Zimmer konnte er mich natürlich nicht sehen.
    Wenn einer in einer finsteren Wohnung steht und ein zweiter draußen im Mondlicht, hat der im Hellen keine Chance, den im Dunklen zu sehen.
    Aber ich spürte trotzdem seinen Blick!
    Das Telefon klingelte wieder, und abermals zuckte ich zusammen.
    Ein Telefon sollte so spätnachts nicht läuten. So etwas jagt einem einen Riesenschrecken ein, selbst wenn man nicht alleine im Haus ist und ein nackter Fremder im Pool herumplanscht.
    Freunde rufen nach neun nicht mehr an, außer, es handelt sich um einen Notfall.
    Der Mann draußen im Pool drehte sich wieder auf den Bauch und schwamm mit erhobenem Kopf in meine Richtung.
    Das Telefon läutete noch einmal, und ich trat von der Glastür zurück.
    Warum musste die verdammte Klingel nur so laut sein?
    Ich wusste genau, dass er es hören konnte. Gedämpft zwar und undeutlich, aber trotzdem. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass man im Pool auch bei geschlossenen Türen und Fenstern jedes der Telefone im Haus hören konnte. Serena hatte mindestens fünf‐
    vielleicht sogar sieben oder acht. Es war ein großes Haus und fast in allen Zimmern stand ein Telefon. Jedes klingelte, fiepte oder summte unterschiedlich.
    Es gab nur einen Anrufbeantworter, und der stand im Wohnzimmer.
    Direkt neben mir.
    Nach dem vierten Klingeln knackte es. Der Anrufbeantworter sprang an.

    Ich entfernte mich weiter vorsichtig von der Tür.
    Draußen erreichte der Fremde das Ende des Pools. Er stützte sich mit den Händen auf den Beckenrand und starrte direkt zu mir her.
    Ich kann Entfernungen schlecht schätzen, aber ich denke, dass er vielleicht drei oder vier Meter von der Glastür entfernt war. Und keine zwei Meter hinter der Tür stand ich.
    Der Anrufbeantworter knackte wieder.
    »Hallo, Judy«, sagte eine Männerstimme. »Hier spricht Tony. Hey, du hast dir ja einen Anrufbeantworter angeschafft. Aber nicht extra wegen mir, oder doch? Sag mal, wer ist denn der Typ, der das Ding für dich besprochen hat? « Pause. »Egal. Geht mich ja nichts an.
    Aber wenn du zu Hause bist, dann nimm doch ab. Bitte! Okay, ich weiß, dass du nicht mit mir reden willst, aber … Ich will dich nicht verlieren! Ich liebe dich! Bist du da? Bitte! Geh doch ran und sprich mit mir!«
    Er verstummte.
    Der Mann draußen kletterte aus dem Pool.
    »Ich ruf dich nicht noch mal an, Judy, das sage ich dir. Um deine Liebe betteln werde ich nicht.«
    Der Mann näherte sich langsam der Glastür.
    »Okay, dann soll es wohl so sein. Ich hab’s versucht. Jetzt bist du am Zug. Wenn du wirklich willst, dass es aus ist zwischen uns, dann akzeptiere ich das und nerve dich nicht mehr. Dann war es das eben.
    Leb wohl. Für immer. Ich will das nicht, ganz bestimmt nicht, aber zum Teufel … Bist du da, Judy? Verdammt, das fühlt sich so komisch an, auf diese blöde Maschine zu sprechen. Wenn du da bist, nimm doch bitte ab …«
    Der Fremde erreichte die Tür und spähte durch die Glasscheibe.
    Konnte er mich sehen?
    Mein Herz klopfte so laut, dass ich fast Angst hatte, er könnte es hören.
    Regungslos stand ich da und starrte ihn an. Er hatte die Arme über den Kopf gehoben und die Handflächen an die Scheibe der Tür gelegt. Seine Stirn
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