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Nacht

Nacht

Titel: Nacht
Autoren: Richard Laymon
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Rücken konnte man mich vermutlich noch vom Waldrand aus deutlich sehen.
    Ich schwang den Säbel hoch über meinem Kopf.
    »Wenn du mich willst, dann musst du mich holen«, rief ich dabei laut.
    Ich fühlte mich mutig und stark, und ich sah dabei ziemlich cool aus.
    Aber dann kam ich mir auf einmal dumm und albern vor und kriegte es sofort wieder mit der Angst zu tun, weshalb ich schleunigst zurück in den Flur eilte.

    Normalerweise hätte ich das Haus durch die Schiebetür im Wohnzimmer verlassen. Das kam daher, dass ich mich nach Einbruch der Dunkelheit hauptsächlich vor dem Fernseher aufhielt und danach nicht mehr ewig weit durch das leere Haus laufen wollte.
    Aber in dieser Nacht war das anders.
    In dieser Nacht konnte ich es einfach nicht. Seit der Fremde sich an der Tür verewigt hatte, grauste mir vor ihr.
    Irgendwer muss die Schweinerei da wegwischen, dachte ich.
    Aber nicht ich. Und ganz bestimmt nicht heute Nacht.
    Ich stand im Flur und fragte mich, ob ich noch irgendetwas brauchte. Meine Schlüssel hatte ich in der Tasche, und weil ich am nächsten Vormittag schon wieder zurückkommen wollte, brauchte ich weder meine Badesachen noch mein Taschenbuch mitzunehmen.
    Die Türen waren alle zu, und die Lichter ausgeschaltet bis auf die, die ohnehin die ganze Nacht über brennen sollten.
    Und dann fiel mir die Klimaanlage ein.
    Serena und Charlie schalteten sie normalerweise aus, bevor sie zu Bett gingen und ließen sie nur durchlaufen, wenn es furchtbar heiß war.
    Wenn ich im Haus war, vergaß ich oft, sie auszuschalten.
    Aber jetzt hatte ich daran gedacht und ging zurück zu dem Thermostaten.
    »Gut gemacht«, lobte ich mich, nachdem ich den Schalter auf
    »Aus« gedreht hatte.
    Dann überlegte ich mir, durch welche Tür ich das Haus verlassen sollte. Nicht durch die im Wohnzimmer, so viel war sicher.
    Sowohl im Esszimmer als auch im Schlafzimmer gab es weitere Schiebetüren, aber sie alle waren vom Garten, vom Pool und vom Wald aus einzusehen. Wenn der Fremde wirklich noch am Waldrand stand, dann konnte er sehen, wie ich das Haus verließ und vielleicht sogar, dass ich hinüber zur Garage ging.

    Und dann wüsste er, wo er mich finden konnte.
    Ich entschied mich deshalb für die Haustür.
    Vorher aber musste ich pinkeln. Das Gästebad lag direkt auf meinem Weg zur Tür, also ging ich dort hinein. In der Steckdose steckte das kleine Puh‐der‐Bär‐Nachtlicht, das ich Debbie zu ihrem zweiten Geburtstag geschenkt hatte, und verbreitete einen schwachen, sanften Lichtschein. So musste ich nicht das große Licht anmachen.
    Spät am Abend ist es immer gut, wenn man so wenig Licht wie möglich macht, zumindest dann, wenn man in einem Raum mit Fenstern ist. Das plötzliche Aufflammen des Lichtes in einem bis dahin dunklen Fenster verrät der Welt ringsum genau, wo man sich gerade aufhält.
    Das Gästebad hatte zwei hoch angebrachte Milchglasfenster, die jeder sehen konnte, der vor dem Haus stand, und so musste das Nachtlicht genügen.
    Ich ließ die Tür offen und legte den Säbel und meine Tasche vor dem Bad in den Flur, bevor ich den Kimono auszog und über den Handtuchhalter legte. Und dann setzte ich mich.
    Schade, dass ich die Klimaanlage schon ausgeschaltet hatte. Nicht, weil es mir zu heiß gewesen wäre, sondern weil es nun nichts mehr gab, das die Geräusche übertönte. Ohne das beständige Zischen der Luft kam mir sogar der leiseste Ton im Haus furchtbar laut vor.
    Soviel zum Thema seinen Standort nicht verraten.
    Ich beugte mich nach vorn, stützte die Ellenbogen auf die Knie und schaute hinaus auf den Flur. Der Gedanke, dass jeden Augenblick jemand im Türrahmen erscheinen konnte, rief bei mir eine Gänsehaut hervor, die sich rasch über meinen ganzen Körper verbreitete. Normalerweise bekomme ich so etwas nur, wenn ich eine besonders eklige Spinne an der Zimmerdecke getötet habe und mir dann das zerquetschte Tier auf den nackten Arm fällt.
    Aber es erschien niemand im Türrahmen.
    Als ich fertig war, zögerte ich mit dem Runterspülen, tat es dann aber doch. In der Stille der Nacht kam mir die Spülung wie ein rauschender Sturzbach vor.
    Sie war so laut, dass sie so gut wie alles übertönt hätte, was zur selben Zeit im Rest des Hauses geschehen wäre: Das Klingeln eines Telefons, das Rufen meines Namens, das Zerbrechen einer Glasscheibe.
    Als das Geräusch der Spülung schließlich aufhörte, zog ich den Kimono wieder an, trat nach draußen und hob Säbel und Tasche vom Boden auf. Dann sah ich
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