Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
Vom Netzwerk:
er sie berührte, wo nie zuvor ein Mann sie berührt hatte, und diese nüchterne Erkenntnis bewirkte ganz eindeutig eine körperliche Reaktion. Der sanfte Druck seiner Hand an ihrem Knöchel jagte ihr ein Prickeln über die Haut, winzig, aber zu durchdringend, um ignoriert zu werden. Er zog ihr erst einen, dann den anderen Schuh aus, und sie hätte beinahe aufgestöhnt, als er, anstatt aufzustehen, die Hände an ihren Waden hinaufschob.
    »Was machen Sie da?«, fragte sie angespannt und wollte schon zurückzucken.
    »Die Strümpfe müssen auch weg«, sagte er gelassen. Er machte sich in ihren Kniekehlen an den Strumpfbändern zu schaffen und schenkte ihr einen gespielt unschuldigen Blick, der ihr den Atem verschlug.
    »Herzlichen Dank, aber das schaffe ich durchaus allein«, sagte Alcy. Sie hatte schnippisch klingen wollen, aber der Mann brachte sie derart aus der Fassung, dass die Worte ohne jeden tadelnden Unterton herauskamen. Versuchte er, sie zu verführen, sie zu verspotten oder ihr Angst einzujagen? Sie wusste nicht, was er wollte – ehrlich gesagt, hätte sie im Augenblick nicht einmal sagen können, mit welcher der drei Möglichkeiten er am erfolgreichsten war. Noch während sie protestierte, rollte er ihr den feinen
Seidenstrumpf über die Wade, wobei er mit den Handflächen ihre nackte Haut streifte. Sie wappnete sich gegen das Beben, das sie zu verraten drohte.
    Alcy wusste, dass er damit in jedweder christlichen Gesellschaft die Grenzen des Anstands übertreten hätte. Als er ihr den Strumpf ganz ausgezogen hatte, zwang sie sich, ihr Bein seinem Griff zu entwinden, auch wenn ein verräterischer Teil von ihr in den sündigen Gefühlen schwelgte, die seine Berührung in ihr auslöste. Doch sie unterdrückte ihr Verlangen, bückte sich und zog den zweiten Strumpf so schnell wie möglich alleine aus. Baron Benedek erhob sich einfach, lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme auf eine Art und Weise vor der Brust, die Alcy nur als selbstgefällig bezeichnen konnte. Sie nahm ihren letzten Rest an Haltung zusammen und brachte einen vernichtenden Kommentar zustande: »Ich hoffe, Sie sind jetzt fertig. Denn falls Sie glauben, ich würde Ihnen erlauben, mich hier nackt auszuziehen, irren Sie sich gewaltig.«
    Als Alcy sich aufrichtete und ihm einen Blick zuwarf, der, wie sie hoffte, von höchstem Ernst und größter Missbilligung zeugte, stemmte er sich von der Wand ab.
    Er lachte nur. »Das hatte ich eigentlich nicht vor, aber es ist eine interessante Idee. Schade, dass wir für derartige Spielchen keine Zeit mehr haben; der Pfarrer wird ungeduldig werden, wenn wir noch länger herumtändeln.«
    Und dann nahm er sie, ohne ihre Antwort abzuwarten, am Ellenbogen und öffnete die glänzende dunkle Tür zur Kapelle.

Kapitel 2
    Alcy trat am Arm des Barons zögernd in die Kapelle. Der Steinboden unter ihren nackten Füßen fühlte sich kalt und rau an. Er hielt, nachdem sie eingetreten waren, kurz inne – damit sie sich sammeln konnte? Sie wusste es nicht, war jedoch dankbar.
    Die Kapelle entsprach nicht dem, was sie sich vorgestellt hatte; da sie nie eine Schlosskapelle gesehen hatte, hatte sie sich im Geiste eine Mischung aus einer Londoner Kathedrale und einer ländlichen Kirche ausgemalt – wie sie in der Nähe des Landsitzes stand, den ihr Vater in Middlesex angemietet hatte.
    Aber der Kirchenraum war kleiner, intimer, ja fast klaustrophobisch. Wo die ländliche Kirche hell und luftig war, war diese hier dunkel, eng und barock; wo die Londoner Kathedralen himmelwärts strebten, schien die Decke hier, trotz ihrer Höhe, auf die Kirchengemeinde einzustürzen.
    Über dem Hauptschiff und den beiden Seitenschiffen thronte ein schweres dreifaches Tonnengewölbe aus grauem Stein, das mit abblätternden alten Farbresten gesprenkelt war und von dem keine zehn Meter entfernt der Altar abrupt abgeschnitten wurde. Auf dem kurzen Stück zwischen der Tür und dem Altar drängten sich stumme Beobachter: fünfzig oder mehr, schätzte Alcy; manche davon in
Landestracht, wenn auch von besserer Qualität, als die Leute draußen sie getragen hatten, andere in festlichen Anzügen aus Wollstoff oder steifen Seidenkleidern, die nie modisch genug gewesen waren, um wirklich aus der Mode zu kommen – die typisch kontinentalen Sonntagskleider eben, wie die wohlhabenderen Bauern und der niedere Adel sie trugen. Sie alle starrten Alcy an, die Mienen weder erfreut noch missbilligend, sondern eindringlich. Sie schätzten sie mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher