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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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betraten. »Der Pfarrer kümmert sich vorher darum. Es ist eine Sache von ein paar Minuten.« Er hielt ihrem ungläubigen Blick ungerührt stand, und die Offenheit seiner blauen Augen ließ ihr tief im Inneren warm werden. Er war ihr so nah, so nah, dass seine Beine beim Gehen ihre Röcke streiften. Alcy versuchte, sich auf ihre Gegenargumente zu konzentrieren. »Sicher ist eine Verlobungszeit von vier Monaten angemessen, was die Schicklichkeit betrifft. Und in England
wären vier Monate sogar über der Norm, oder nicht?«, fragte er.
    »Ja«, musste Alcy der Ehrlichkeit halber zustimmen, aber eine Erwiderung, unerbittlich logisch und streitbar, wie sie nun einmal war, konnte sie sich dennoch nicht verkneifen. »Allerdings handelt es sich hier kaum um eine typisch englische Hochzeit, da wir einander ja nicht kennen.«
    »Bedeutet Ihnen ein monatelanger Briefwechsel denn so wenig, mein kleines Vögelchen?«, fragte er. Die Koseworte stammten direkt aus einem seiner Briefe, ein Spiel mit ihrem Namen, das jetzt einen hämischen Beigeschmack bekam.
    »Nein. Nein, sicher nicht«, sagte Alcy und straffte die Schultern, obwohl sie zunehmend verwirrt war, was diesen Mann und seine Absichten anging. Ihr war, als sei sie mit ihm in eine Art Kampf verwickelt, auch wenn sie nicht wusste, worum es ging. Zudem hatte sie das Gefühl, dass er mogelte, sich Worte und Gebräuche so lange zurechtbog, bis sie seinen Zwecken dienten; und trotzdem fiel ihr, hilflos wie sie war, kein akzeptabler Weg ein, ihn zurechtzuweisen.
    »Gut«, sagte der Baron befriedigt, und Alcy wusste, dass sie verloren hatte.
    Sie bogen in den nächsten ziemlich düsteren Flur ein, und Baron Benedek wechselte mitten im Satz die Sprache. Alcy erkannte den Ton der ungarischen Bootsleute wieder.
    »Ich spreche kein Madjarisch«, protestierte sie auf Deutsch. Baron Benedek gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen befriedigtem Grunzen und Schnauben angesiedelt war, und wechselte wieder die Sprache – diesmal konnte sie die Worte dechiffrieren.

    »Verstehen Sie wenigstens das hier?«, fragte er, während er sie den nächsten Gang hinunterführte.
    »Nur unter Schwierigkeiten«, erwiderte sie in Altgriechisch, das sich erheblich von seinem Neugriechisch unterschied.
    Er nickte. »Und Russisch?«, fragte er in der Sprache, von der sie kaum zwanzig Worte kannte.
    » Njet. « Prüfte er sie?, fragte sich Alcy. Aber zu welchem Zweck? Und was für eine Antwort wollte er hören? Ihr ging mit Verspätung auf, dass der Baron vielleicht gar keinen Wert auf eine Frau legte, die mehr als das obligatorische Französisch beherrschte, das Deutsch ihrer Briefe und ein paar Brocken Latein, aber jetzt war es zu spät, die Unwissende zu spielen.
    »Französisch?«, fragte er, als könne er Gedanken lesen.
    »Aber natürlich.«
    Er wechselte zur nächsten Sprache, dann zur nächsten und wieder zu einer anderen. Alcy, die kein einziges Wort verstand, schüttelte nur hilflos den Kopf. Der Baron blieb ohne Vorwarnung stehen, und Alcy stellte verblüfft fest, dass sie das Ende des Korridors erreicht hatten, wo sich eine dunkle polierte Tür vor ihnen abzeichnete.
    »Die Kapelle«, erklärte Baron Benedek wieder auf Deutsch. Er sah sie einen langen Moment lang an, doch die Schatten in dem unbeleuchteten Flur waren zu tief, als dass Alcy seinen Gesichtsausdruck hätte ergründen können. Aber sein eindringlicher Blick reichte aus, ihr einen warmen, sirrenden Schauder durch den Körper zu jagen, der sich gleichermaßen berauschend wie verstörend anfühlte.
    »Soweit ich weiß, ist es in England Sitte, dass der Mann seine Auserwählte küsst, nachdem sie seinen Antrag angenommen
hat«, sagte er mit einem gefährlich spielerischen Unterton in der Stimme, der nicht zu seinem düsteren, besitzergreifenden Blick passte. »In unserem speziellen Fall hat es eine gewisse Verzögerung gegeben, aber ich denke, der Brauch ist es wert, respektiert zu werden.«
    Alcy starrte ihn eine halbe Sekunde lang nur verständnislos an. Dann ließ er sie los, schob einen Arm um ihren Rücken, den anderen hinter ihren Kopf und zog sie an sich. Erst jetzt begriff sie, dass er tatsächlich vorhatte, sie zu küssen – sie wirklich zu küssen .
    Sie versuchte automatisch, nach hinten auszuweichen, doch er hielt sie fest. Warum Widerstand leisten, fragte sie sich plötzlich. Es war gewiss nicht unschicklich, da sie ja in wenigen Minuten heiraten würden. Doch als er sie an sich zog, überkam sie eine heiße
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