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Nacht des Verfuehrers - Roman

Nacht des Verfuehrers - Roman

Titel: Nacht des Verfuehrers - Roman
Autoren: Lydia Joyce Gabi Langmack
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Alcy, während ihr Führer stumm und geduldig das lädierte Eichenholz anstarrte. Gerade als sie ein paar Grußworte rufen wollte, fing das das Tor an zu knarren.
    Alcy wurde wieder bewusst, wie schrecklich sie aussehen musste, blass und müde von der Reise, mit vom Wind zerzaustem Haar und schlammbefleckten Kleidern . Ich kann da jetzt nicht rein! Sie verspürte den ersten Anflug von Panik. Auch wenn sie in mancher Hinsicht kaum als Lady durchging, so wusste sie doch, dass sie zumindest nach einer aussehen konnte, insofern man ihr Gelegenheit dazu gab, und ihr ganzes künftiges Glück konnte von dieser ersten Begegnung abhängen.

    »Warten Sie«, zischte sie dem Führer zu.
    Er erweckte nicht den Anschein, als habe er sie gehört.
    »Ich muss mich erst noch frisch machen«, fuhr sie schon ein wenig verzweifelter fort. »Ich muss mich umziehen, mein Haar richten -«
    Aber es war zu spät. Die Torflügel schwangen weit auf, die Dienstboten, die sie geöffnet hatten, kamen zum Vorschein und dahinter eine Ansammlung von Leuten, die sie mit großen Augen anstarrten.
    Der Führer ritt hinein, und Alcys Maultier folgte gehorsam. Zwischen der Außenmauer und dem rechteckigen Festungsbau, der stolz über dem Gewirr von niedrigen grauen Nebengebäuden aufragte, das sich in alle Richtungen ausbreitete, erstreckte sich ein breiter kahler Hof, auf dem sich Männer, Frauen und Kinder tummelten. Ein entlegener Winkel ihres Gehirns begann aus schierer Verzweiflung, die Leute automatisch abzuzählen, und hörte erst damit auf, als er bei zweihundert außer Takt geriet.
    Alcy saß stocksteif auf ihrem Maultier und versuchte, die gelassene, unterkühlte Aura der geborenen Lady zu verströmen, obwohl sie sich mehr denn je wie die herausgeputzte Tochter eines Kaufmannes fühlte und ihr Herz wie wild klopfte. Sie hatte nie an die Dienstboten und die Kleinbauern gedacht, sondern nur die vage Idee gehabt, dass es wohl welche geben würde – und hätte sie an all die Leute gedacht, hätte sie sich niemals ausgemalt, ihnen auf diese Weise zu begegnen – im Augenblick der Ankunft ihren abschätzigen Blicken ausgesetzt. Und sie hätte sich die Einheimischen in praktischen englischen Baumwollkleidern oder ordentlich genähten Mänteln und Hosen aus Wollstoff vorgestellt. Aber die Männer trugen unter den
bauschigen Mänteln sonderbare orientalisch gemusterte Westen mit Kelchkragen, und die Aufmachung der Frauen konnte jemandem, der in Leeds aufgewachsen war, schlichtweg nur exotisch erscheinen. Hauben aus weißem Leinen rahmten die Gesichter der Frauen, breite Schürzen aus demselben Material bedeckten ihre Kleider, beides mit leuchtend bunten Stickereien in eckigen, fast schon barbarischen Mustern verziert. Alcy glaubte, in ihren Gesichtern die Züge der Reiternomaden zu erkennen, die vor Hunderten von Jahren diese Gegend durchstreift hatten – als seien sie wirklich Nachfahren der Hunnen, wie viele Ungarn so gern behaupteten.
    Bevor Alcy es richtig bewusst wurde, zog es ihren Blick von der versammelten Bauernschar fort zu einem Mann, der einsam abseits der Menge stand. Die Aura der Einsamkeit, die ihn umwehte, war zu enorm, als dass man sie allein profanen Faktoren hätte zuschreiben können, der physischen Entfernung etwa oder den andersartigen Kleidern. Sie beruhte auf dem, was er war – und Alcy wusste, dass er der Herr der Hauses war.
    Er trug einen Gehrock nach französischer Mode, wenn vielleicht auch vier oder fünf Jahre alt, farblich abgestimmte Hosen und eine weinrote Weste. Der edle Schnitt unterstrich den kraftvollen Körperbau, die breiten Schultern und die schmalen Hüften; wie er so breitbeinig dastand, waren die Muskeln selbst durch den Hosenstoff noch zu erkennen. Der Körper jagte ihr, noch bevor sie seine Gesichtszüge erkennen konnte, einen warmen instinktiven Schauder über den Rücken, eine Reaktion, wie sie sie von früher kannte, wenn sie unerwartet einem verblüffend gut aussehenden Mann in die Augen gesehen hatte – nur kam
diesmal die Gewissheit hinzu, dass es zwischen ihnen beiden bald weit mehr als scheue Blicke geben würde. Denn Baron Benedek János würde bald ihr Gatte sein.
    Sie zwang ihren Blick nach oben, während ihr Führer die Tiere zum Stehen brachte, und stellte fest, dass der Mann aus unerklärlichen Gründen keinen Hut trug, ein glatt rasiertes Kinn hatte und Haare, die wie bei den romantischen Dichtern vergangener Generationen weit über den Kragen reichten. Einen Augenblick lang erschien er
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