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Nacht der Füchse

Titel: Nacht der Füchse
Autoren: Jack Higgins
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am Feuer und schlug die schlanken Beine übereinander. »Haben Sie schon einmal von der SOE gehört, Professor?«
    »Natürlich«, antwortete ich. »Special Operation Executive. Sondereinsatz-Zentrale, auf Churchills Geheiß 1940 vom briti­ schen Geheimdienst gebildet, um in Europa Widerstandsbewe­ gungen und den Untergrund zu koordinieren.«
    »›Steckt Europa in Brand‹, so lautete Churchills Befehl.« Sa­ rah Drayton schnickte Asche ins Feuer. »Ich habe für diese Leute gearbeitet.«
    Ich war erstaunt. »Damals müssen Sie doch noch ein Kind gewesen sein!«
    »1944 war ich neunzehn«, entgegnete sie.
    »Und Martineau?«
    »Schauen Sie auf den Flügel«, sagte sie. »Das Foto ganz auf der Seite, im Silberrahmen.«
    Ich kam ihrer Aufforderung nach und nahm die Aufnahme zur Hand. Sofort fiel mir ihr Gesicht auf, das bis auf ein Detail seltsam unverändert wirkte. Damals war ihr Haar auffällig blond gewesen und gekräuselt – wie man das wohl damals nannte. Sie trug einen kleinen schwarzen Hut und einen typi­ schen Mantel aus der Kriegszeit: breite Schultern, enge Taille. Außerdem konnte ich Seidenstrümpfe und hochhackige Schuhe erkennen. In den Händen hielt sie eine schwarze Lacklederta­ sche.
    Der Mann, der neben ihr stand, war mittelgroß, trug über ei­ nem Tweedanzug einen ledernen Militärmantel und hatte die Hände tief in die Taschen gesteckt. Das Gesicht lag im Schat­ ten eines dunklen Filzhuts, und im Mundwinkel steckte eine Zigarette. Die Augen waren dunkel und völlig ausdruckslos, und sein Lächeln verhieß einen gewissen rücksichtslosen Charme. Er sah durch und durch gefährlich aus.
    Sarah Drayton stand auf und stellte sich neben mich. »Sieht wahrlich nicht aus wie ein Croxley-Professor für Moralphilo­ sophie in Oxford – oder was meinen Sie?«
    »Wo wurde das aufgenommen?«, fragte ich.
    »Auf Jersey. Gar nicht weit von hier. Im Mai 1944. Ich glau­
    be, am 10. Mai.«
    »Ich bin schon lange genug auf Jersey, um zu wissen, dass die Insel damals noch von den Deutschen besetzt war.«
    »Allerdings.«
    »Und Martineau war hier? Mit Ihnen?«
    Sie ging zu einem georgianischen Schreibtisch, zog eine Schublade auf und reichte mir dann ein Foto. »Dieses Bild stel­ le ich aus offensichtlichen Gründen nicht mit auf den Flügel.«
    Sie war ähnlich gekleidet wie auf dem anderen Foto, und Martineau trug denselben Leder-Trenchcoat. Der einzige Un­ terschied war die SS-Uniform darunter, das silberne Toten­ schädelemblem an der Mütze. »Standartenführer Max Vogel«, sagte sie. »Im Rang mit einem Obersten gleichzusetzen. Sieht flott aus, nicht wahr?« Lächelnd nahm sie mir das Bild ab.
    »Du meine Güte!«, rief ich. »Was hat das alles zu bedeu­ ten?«
    Sie antwortete nicht, sondern reichte mir wortlos ein weite­ res Bild. Es war verblasst, aber noch immer sehr deutlich. Eine Gruppe deutscher Offiziere. Vorn standen zwei Männer für sich. Einer war Martineau in seiner SS-Uniform, doch nun fiel mein Blick auf den anderen, und es verschlug mir den Atem. Eines der bekanntesten Gesichter aus dem Zweiten Weltkrieg. Generalfeldmarschall Erwin Rommel. Der »Wüstenfuchs« per­ sönlich. »Wurde das auch hier aufgenommen?«, fragte ich.
    »O ja.« Sie legte die Fotos in die Schublade zurück und nahm mein Glas. »Ich glaube, Sie können jetzt noch einen Drink vertragen.«
    »Und ob.«
    Sie schenkte ein und reichte mir das Glas. Wir gingen zum Kamin. Sie nahm eine neue Zigarette aus dem Kästchen. »Ei­ gentlich sollte ich mit Rauchen aufhören. Aber dazu ist es zu spät. Noch so eine schlechte Angewohnheit, die ich von Harry habe.«
    »Bekomme ich eine Erklärung?«
    »Warum nicht?«, meinte sie und deutete auf die Verandatü­

    ren, gegen die der Regen trommelte. »Wissen Sie etwas Besse­ res, was man an einem solchen Nachmittag tun könnte?«

    London 1944

    2

    Soweit man überhaupt von einem Anfang sprechen kann, be­ gann alles mit einem Anruf, den Brigadier Dougal Munro in seiner Wohnung am Haston Place entgegennahm, zehn Minu­ ten zu Fuß vom Londoner SOE-Hauptquartier in der Baker Street entfernt. Als Leiter der Abteilung D der SOE hatte er zwei Telefone am Bett, eins mit Direktleitung ins Büro. Dieser Apparat weckte ihn um vier Uhr früh am 28. April 1944.
    Mit ernstem Gesicht nahm er die Meldung entgegen und fluchte leise. »Bin sofort drüben. Stellen Sie inzwischen fest, ob Eisenhower in der Stadt ist!«
    Knapp fünf Minuten später verließ er das Haus, erschauderte in der
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