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Nacht der Füchse

Titel: Nacht der Füchse
Autoren: Jack Higgins
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graues Haar war raffiniert kurz geschnitten. Sie war nicht im landläufigen Sinn schön; ihr Mund wirkte etwas zu groß, und sie hatte haselnussbraune Augen über breiten Wan­ genknochen. Ihr Gesicht verriet große Charakterstärke und zeigte einen Menschen, der das Beste und Schlechteste vom Leben erfahren hat, und sie strahlte eine außergewöhnliche Ruhe aus. Wäre sie mir auf der Straße begegnet, ich hätte mich wahrscheinlich nach ihr umgedreht – ja, so eine Frau war sie.
    Sie beachtete mich nicht, und ich hielt mich im Schutz der Bäume, wurde aber trotz des Schirms durch und durch nass. Cullen beendete die Feier, trat vor Sarah Drayton hin und sprach kurz mit ihr. Sie küsste ihn auf die Wange, und er mach­ te kehrt und ging, gefolgt von den Sargträgern, zur Kirche.
    Die Frau blieb am Grab stehen, und die beiden Arbeiter war­ teten respektvoll in einiger Entfernung. Sie ignorierte mich weiter, obwohl ich nun vortrat, eine Hand voll feuchte Erde nahm und auf den Sarg warf.
    »Dr. Drayton?«, fragte ich. »Es tut mir Leid, wenn ich Sie belästige. Ich heiße Alan Stacey. Ob ich Sie wohl mal kurz
    sprechen dürfte? Übrigens – ich bin kein Reporter.«
    Ihre Stimme war unerwartet tief, gelassen und von wunder­ barem Klang. Ohne mich anzuschauen, sagte sie: »Ich weiß durchaus, wer Sie sind, Professor Stacey. Seit drei Jahren er­ warte ich Ihren Besuch.« Sie wandte sich um und zeigte ein bezauberndes Lächeln, das sie wie zwanzig aussehen ließ. »Wir sollten aus diesem schlimmen Regen verschwinden, ehe wir uns erkälten. Das ist ein guter ärztlicher Rat, der Sie nichts kostet. Mein Wagen steht draußen. Ich finde, wir sollten uns auf einen Drink zusammensetzen.«

    Das Haus war keine fünf Minuten entfernt; wir erreichten es über einen schmalen Feldweg, den Dr. Drayton geschickt und mit ziemlichem Tempo befuhr. Es erhob sich inmitten eines gepflegten, großen Gartens und war von Buchen umgeben, durch die man weiter unten die Bucht erkennen konnte. Offen­ bar stammte das Haus aus der viktorianischen Zeit; an der Front hatte es lange, schmale Fenster mit grünen Läden und einen säulenflankierten Eingang. Als wir die Treppe hinauf­ stiegen, wurde die Tür von einem großen, ernst aussehenden Mann in einer schwarzen Alpakajacke geöffnet. Er hatte schlohweißes Haar und trug eine Nickelbrille.
    »Vito«, sagte sie und ließ sich von ihm aus dem Mantel hel­ fen, »dies ist Professor Stacey.«
    »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
    »Wir trinken später in der Bibliothek Kaffee«, fuhr sie fort. »Um die Drinks kümmere ich mich selbst.«
    »Selbstverständlich, Contessa.«
    Ehe er sich abwandte, sagte er noch einige Worte auf Italie­
    nisch. Sie schüttelte den Kopf und antwortete fließend in der­ selben Sprache. Er verschwand durch eine Tür im hinteren Teil des Flurs.
    »Contessa?«, fragte ich.
    Sie tat meine Frage höflich, aber entschieden ab. »Ach, Sie
    dürfen Vito nicht ernst nehmen, er ist ein fürchterlicher Snob. Hier entlang.«
    Der Flur war kühl und geschmackvoll gestaltet. Schwarz­ weiße Bodenkacheln, eine sich emporschwingende Treppe, Ölgemälde an den Wänden, Meerlandschaften aus dem acht­ zehnten Jahrhundert. Dr. Drayton öffnete eine Doppeltür aus Mahagoni und trat vor mir in eine große Bibliothek. Die Bü­ cherregale reichten bis zur Decke hinauf, verglaste Verandatü­ ren führten in den Garten. Hinter dem Schutzgitter eines Adam-Kamins loderte ein Feuer, und in der Ecke stand ein Konzertflügel, dessen Deckel mit Fotos vollgestellt war, die meisten in silbernen Rahmen.
    »Mögen Sie einen Scotch?«, fragte sie.
    »Ja, gerne.«
    Sie ging zu einer Anrichte und machte sich an den Flaschen zu schaffen. »Woher wussten Sie, wer ich bin?«, fragte ich. »Von Cullen?«
    »Ich kenne Sie, seit Sie mit Ihrer Arbeit über Harry begon­ nen haben.« Sie reichte mir ein Glas.
    »Wer hat Ihnen davon erzählt?«
    »Ach, Freunde«, erwiderte sie. »Freunde von früher. Freun­
    de, die so alles Mögliche erfahren.«
    Unwillkürlich musste ich an Tony Bianco denken, meinen CIA-Kontaktmann in der Botschaft, und konnte plötzlich mei­ ne Neugier kaum noch bezwingen. »Im Verteidigungsministe­ rium schien niemand meine Fragen beantworten zu wollen.«
    »Ja, das war zu erwarten.«
    »Und trotzdem überlässt man den Toten Ihnen? Sie müssen großen Einfluss haben.«
    »Könnte man sagen.« Sie nahm eine Zigarette aus einem Silberetui, zündete sie an, setzte sich in einen Lehnsessel
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