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Nacht der Füchse

Titel: Nacht der Füchse
Autoren: Jack Higgins
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feuchten, kühlen Luft und eilte die dunkle, menschenlee­ re Straße entlang. Dabei zündete er sich die erste Zigarette des Tages an. Fünfundsechzig Jahre war er alt, ein gedrungener, kräftig aussehender Mann mit weißem Haar und einem runden, hässlichen Gesicht, zu dem die Nickelbrille nicht recht passen wollte. Er trug einen alten Burberry-Regenmantel und hatte seinen Regenschirm mitgenommen.
    Wenn man ihn so sah, wirkte er sehr unmilitärisch – und das war nicht weiter überraschend. Sein Rang als Brigadier sollte ihm in gewissen Kreisen die nötige Autorität verschaffen. Bis
    1939 hatte Dougal Munro als Archäologe gearbeitet, Fachge­ biet Ägyptologie. Er war Fellow von All Souls in Oxford. Seit drei Jahren leitete er die Abteilung D der SOE, von der in der
    Branche behauptet wurde, sie sei für die »schmutzigen Tricks« zuständig.
    In der Baker Street nickte er dem Nachtposten zu und ging direkt nach oben. In seinem Büro saß Captain Jack Carter, der Dienst habende Offizier, hinter dem Schreibtisch. Carter hatte ein künstliches Bein, eine Folge des Kessels von Dünkirchen. Jetzt griff er nach seinem Stock und wollte aufstehen.
    »Nein, bleiben Sie sitzen, Jack«, sagte Munro. »Ist Tee da?«
    »Die Thermosflasche steht auf dem Kartentisch, Sir.«
    Munro schraubte den Deckel auf, goss sich eine Tasse ein und trank. »Bah, scheußliches Zeug, aber wenigstens heiß! Also, raus damit.«
    Nun stand Carter doch auf und humpelte durch den Raum. Auf dem Tisch lag eine Karte, die den Südwesten Englands zeigte, vorwiegend Devon, Cornwall und große Teile des Är­ melkanals.
    »Manöver ›Tiger‹, Sir«, begann er. »Sie erinnern sich an die Einzelheiten?«
    »Simulierte Landungen für Overlord.«
    »Genau. Hier in der Lyme-Bucht in Devonshire gibt es einen Strandbereich, der Slapton Sands genannt wird. Er ist dem Ab­ schnitt, den wir für die Normandie-Landung ›Utah‹ genannt haben, so ähnlich, dass wir unbedingt dort üben müssten. Die meisten jungen Amerikaner, die die Invasion unternehmen sol­ len, haben keinerlei Kampferfahrung.«
    »Das ist mir bekannt, Jack«, sagte Munro. »Weiter.«
    »Der Konvoi von gestern Abend bestand aus acht Landungs­ booten. Fünf aus Plymouth, drei aus Brixham. Der Aufmarsch wurde natürlich von der Marine gedeckt. Es sollte eine Manö­ verlandung in Slapton stattfinden.«
    Eine Pause trat ein. »Rücken Sie schon mit dem Schlimm­ sten heraus«, sagte Munro schließlich.
    »Der Konvoi wurde auf offenem Meer von deutschen Tor­ pedoschnellbooten angegriffen, vermutlich Fünfte und Neunte
    Schnellboot-Flottille aus Cherbourg.«
    »Schäden?«
    »Bisher liegt Sinkmeldung über zwei Landungsboote vor, weitere wurden von Torpedos getroffen und beschädigt.«
    »Und die Verluste an Menschenleben?«
    »Lässt sich im Moment nicht genau bestimmen. Etwa zwei­ hundert Seeleute und vierhundertfünfzig Soldaten.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass wir gestern Nacht sechshun­ dertfünfzig amerikanische Soldaten verloren haben?«, fragte Munro. »Sechshundertfünfzig – dabei hat die Invasion Europas noch nicht mal begonnen!«
    »Leider – ja.«
    Unruhig schritt Munro durch das Büro und blieb am Fenster stehen. »Weiß Eisenhower schon Bescheid?«
    »Er ist in der Stadt, Sir, in der Hayes Lodge. Er möchte Sie zum Frühstück sprechen. Acht Uhr.«
    »Und will dann Tatsachen hören.« Munro machte kehrt und begab sich zu seinem Schreibtisch.
    »Sind unter den Opfern auch noch eingeweihte Offiziere?«
    »Drei, Sir.«
    »Grundgütiger Himmel! Ich habe davor gewarnt. Genau da­ vor habe ich immer gewarnt. Kein Eingeweihter darf gefährli­ chen Dienst tun.«
    Vor einigen Monaten hatte man sich mit der bedauerlichen Tatsache auseinander setzen müssen, dass es im Zusammen­ hang mit der vorgesehenen Invasion Probleme mit der Ge­ heimhaltung gab, in manchen Fällen seitens hoch stehender amerikanischer Offiziere. Daraufhin hatte man das System der Eingeweihten geschaffen. Es handelte sich um eine strengere Geheimhaltungsstufe als »streng geheim«. Die Eingeweihten wussten, was andere nur ahnen konnten – Einzelheiten der alli­ ierten Invasion auf dem europäischen Festland.
    »Diese drei werden bisher vermisst«, sagte Carter. »Ich habe ihre Akten hier.«
    Er legte sie auf den Tisch, und Munro blätterte hastig die Unterlagen durch. »Dumm«, bemerkte er. »Unglaublich dumm! Zum Beispiel dieser Mann, Colonel Hugh Kelso.«
    »Der von den Pionieren?«, fragte Carter.
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