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Nacht der Füchse

Titel: Nacht der Füchse
Autoren: Jack Higgins
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Passagier. Wie Sie wissen, war die Maschine mit deutschen Hoheitszeichen bemalt, und die beiden trugen auch Uniformen der Luftwaffe.«
    »Und sie kamen nie ans Ziel?«
    »O doch. Sie landeten auf der anderen Seite des Rheins. Har­ ry traf sich dort mit den entscheidenden Leuten und flog zu­ rück.«
    »Und verschwand?«
    »Die Flugeinsatz-Zentrale war über die Maschine informiert. Doch anscheinend war diese Nachricht den Piloten einer be­ stimmten Staffel nicht übermittelt worden. Ein Irrtum irgendwo auf Verwaltungsebene.«
    »Mein Gott!«, sagte ich leise. »Aus was für trivialen Grün­ den manchmal doch die größten Katastrophen erwachsen.«
    »Ja«, sagte sie und nickte. »Den Unterlagen zufolge wurde bei Margate eine Arado von einem Spitfire-Jäger angegriffen.
    Die Sicht war an dem Tag sehr schlecht, und der Pilot verlor die Maschine in den tief hängenden Wolken aus den Augen. Man vermutete, dass sie über dem Meer abstürzte. Inzwischen wissen wir mehr.«
    Ein kurzes Schweigen trat ein. Sarah Drayton nahm zwei Holzscheite aus dem Korb und legte sie ins Feuer. »Und Sie?«, fragte ich. »Wie haben Sie sich durchgeschlagen?«
    »Nun ja, ganz gut. Ich bekam ein Stipendium und konnte Medizin studieren. Bei Kriegsende konnten ehemalige ArmyAngehörige mit einer großzügigen Behandlung rechnen. Nach dem Examen kehrte ich als junge Ärztin für ein Jahr Praktikum ans Cromwell-Hospital zurück – ein Schritt, der mir irgendwie passend erschien. Schließlich hatte dort alles begonnen.«
    »Und Sie haben nie geheiratet.« Es war eine Feststellung, keine Frage, und ihre Antwort überraschte mich, wenngleich ich längst hätte Bescheid wissen müssen.
    »Mein Gott, wie kommen Sie denn darauf? Guido besuchte mich regelmäßig in London. Bis dahin hatte er mir verschwie­ gen, wie reich die Orsini-Familie war. Während meines Studi­ ums bat er mich jedes Jahr, seine Frau zu werden. Ich lehnte ab.«
    »Und er kam immer wieder und versuchte es von neuem?«
    »Nun ja. Endlich willigte ich ein – unter der Voraussetzung, dass ich weiter praktizieren konnte. Der Familienbesitz der Orsinis liegt bei Florenz. Ich habe dort dann jahrelang als zwei­ ter Arzt in einer Landpraxis gearbeitet.«
    »Dann sind Sie ja wirklich eine Contessa.«
    »Nun ja. Contessa Sarah Orsini. Guido ist vor drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Können Sie sich vor­ stellen, dass er mit vierundsechzig noch in seinem Ferrari Ren­ nen fuhr?«
    »So wie Sie ihn mir beschrieben haben, passt das durchaus zu ihm.«
    »Dieses Haus gehörte meinen Eltern. Ich hatte es behalten und nahm mir schließlich vor, hierher zurückzukehren. Als Ärztin habe ich es auf der Insel unter meinem Mädchennamen leichter. Die Einheimischen würden sich von dem italienischen Namen vielleicht abschrecken lassen.«
    »Und Sie und Guido? Waren Sie glücklich?«
    »Warum fragen Sie?«
    »Ich meine, weil Sie doch hierher zurückgekehrt sind, nach so vielen Jahren.«
    »Diese Insel ist ein seltsamer Ort. Sie wirkt irgendwie ma­ gnetisch. Sie zieht die Menschen in ihren Bann, manchmal noch nach vielen Jahren. Es ging mir nicht darum, etwas Verlo­ renes wieder zu finden, falls Sie das gemeint haben. Jedenfalls nehme ich das nicht an.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Guido wirklich geliebt. Ich schenkte ihm eine Tochter und dann einen Sohn, den jetzigen Grafen, der mich zweimal in der Woche am Telefon anfleht, nach Florenz zurückzukehren und bei ihm zu wohnen.«
    »Ich verstehe.«
    Sie stand auf. »Guido begriff die Geister, die mich trieben,
    wie er sich ausdrückte – die unleugbare Tatsache, dass es Har­ ry gegeben hatte. Dank Tante Helen kannte ich den Unter­ schied zwischen Verliebtsein und wahrer Liebe.«
    »Sie hat Ihnen aber auch gesagt, Martineau wäre nicht der Richtige für Sie.«
    »Da hatte sie durchaus Recht. Was immer in Harrys Psyche nicht stimmte – ich konnte ihn nicht heilen.« Wieder öffnete sie die Schublade, nahm ein vergilbtes Blatt heraus und entfal­ tete es. »Dies ist das Gedicht, das er damals in Lulworth Cove in den Kamin warf – an dem Tag, als wir uns kennen lernten.«
    »Darf ich es lesen?«
    Sie reichte mir das Blatt. Der Bahnhof ist unheilvoll um Mit­ ternacht. Die Hoffnung ist ein toter Brief. Das Schicksal mich zum Umsteigen rief. Keine Bummelzüge mehr, längst alle abge­ fahren.
    Eine unerklärliche Traurigkeit erfüllte mich, als ich ihr die Zeilen zurückreichte. »Er nannte es ein mieses Gedicht«, sagte
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