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Nacht der Füchse

Titel: Nacht der Füchse
Autoren: Jack Higgins
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schreiben eine Biografie über ihn? Inwie­ fern ist der Mann denn etwas Besonderes? Wie ich schon sagte, war mir der Name bisher kein Begriff.«
    »Der Öffentlichkeit geht es auch so«, entgegnete ich.
    »Aber in den dreißiger Jahren, in akademischen Kreisen…« Ich zuckte mit den Achseln. »Bertrand Russell hielt ihn für einen der brillantesten, innovativsten Denker auf seinem Ge­ biet.«
    »Und das war?«
    »Moralphilosophie.«
    »Ein interessantes Fach«, sagte der Priester.
    »Für einen faszinierenden Mann. Geboren wurde er in Bo­ ston. Sein Vater arbeitete im Reedereigeschäft. Reich, aber nicht übermäßig. Seine Mutter war auch in New York geboren, hatte aber deutsche Eltern. Ihr Vater lehrte einige Jahre lang an der Columbiauniversität, ehe er 1925 als Professor für Chirur­ gie an die Universität Dresden zurückkehrte.« Ich stand auf, ging zum Fenster und starrte nachdenklich hinaus. »Martineau studierte in Harvard, promovierte in Heidelberg, studierte als Rhodes-Stipendiat in Oxford und war mit achtunddreißig ein Fellow des Trinity-College und Professor für Moralphiloso­ phie.«
    »Eine erstaunliche Leistung«, bemerkte Cullen.
    Ich wandte mich um. »Sie sehen das noch nicht richtig. Mar­
    tineau war ein Mann, der alles in Frage stellte, der sein gesam­ tes Fachgebiet von Grund auf umpflügte. Aber dann brach der Zweite Weltkrieg aus, und der Rest ist Schweigen. Jedenfalls bis jetzt.«
    »Schweigen?«
    »Ach, er verließ Oxford, das wissen wir. Arbeitete für das Verteidigungsministerium und dann, wie schon gesagt, für das Kriegswirtschaftsministerium. Viele Akademiker ergriffen eine ähnliche Laufbahn. Tragisch aber ist der Umstand, dass er of­ fenbar auf seinem Spezialgebiet nicht weiterarbeitete. Keine Veröffentlichungen mehr, das Buch, an dem er seit Jahren schrieb, blieb unvollendet; wir haben das Manuskript drüben. Nach September 1939 hat er keine einzige Zeile mehr daran geschrieben.«
    »Wirklich seltsam.«
    Ich kehrte zum Tisch zurück und setzte mich. »Wir haben seine sämtlichen Schriften in der Bibliothek von Harvard. Als ich sie durchsah, fiel mir vor allem ein persönlicher Aspekt auf.«
    »Nämlich?«
    »Als ich mit achtzehn die High School verließ, ging ich nicht gleich nach Harvard, sondern schrieb mich bei den Marines ein. Diente ein Jahr in Vietnam, bis eine Kugel in meine linke Kniescheibe eindrang und ich ein für alle Mal nach Hause ge­ schickt wurde. Martineau handelte ähnlich. In den letzten Mo­ naten des Ersten Weltkriegs, gewissermaßen noch als Minderjähriger, schloss er sich dem amerikanischen Expediti­ onskorps an und diente in den Schützengräben von Flandern als Infanteriegefreiter. Mich faszinierte die Tatsache, dass wir bei der Überwindung unserer Erlebnisse gleiche Wege gingen – wenn wir auch unterschiedliche Antworten suchten.«
    »Aus der Hölle des Krieges in die kühlen Gefilde des Vers­ tandes.« Kanoniker Cullen klopfte am Kamin seine Pfeife aus. »Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat. Irgendein Kriegs­ dichter.«
    »Vor denen schütze mich Gott!«, rief ich aus. »Vietnam hat mir ein steifes Bein, eine dreijährige psychiatrische Behand­ lung und eine geschiedene Ehe eingebracht.«
    Die Uhr auf dem Kaminsims schlug zwölf mal. Cullen stand auf, ging zur Anrichte und schenkte aus einer geschliffenen Karaffe Whisky in zwei Gläser. Er brachte sie zum Tisch und reichte mir eins. »Ich war im Krieg in Burma, und das war auch ziemlich schlimm.« Er trank einen kleinen Schluck und stellte sein Glas auf den Kamin. »Und der Rest, Professor?«
    »Der Rest?«
    »Von Priestern wird immer behauptet, dass sie in den Wol­ ken schweben und vom wirklichen Leben keine Ahnung ha­ ben«, sagte er mit seiner nüchternen, klaren Stimme. »Das ist natürlich Unsinn. Unser Geschäft ist die Beichte, menschlicher Schmerz. Elend. Nach zweiundfünfzig Jahren als Priester ken­ ne ich die Menschen, Professor, und ahne, wenn sie einem nicht alles sagen.« Er hielt ein Streichholz an seine Pfeife und begann energisch zu paffen. »Was auch auf Sie zutrifft, mein Freund, wenn ich mich nicht sehr irre.«
    Ich atmete tief ein. »Er war in Uniform, als man ihn fand.«
    Cullen runzelte die Stirn. »Aber Sie haben doch selbst ge­ sagt, er arbeitete für das Kriegswirtschaftsministerium.«
    »Er trug eine Uniform der deutschen Luftwaffe. Der Pilot ebenfalls.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ein alter Vietnam-Freund von mir, Tony Bianco, arbeitet heute beim CIA in
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