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Nachschrift zum Namen der Rose

Nachschrift zum Namen der Rose

Titel: Nachschrift zum Namen der Rose
Autoren: Umberto Eco
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je eine Bibliothek im Freien
    gesehen?), und wenn es zu kompliziert wurde,
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    mit zu vielen Gängen und Innenräumen, hätte es Schwierig-
    keiten mit der Belüftung gegeben. Eine gute Belüftung war aber
    nötig, um den Brand zu entfachen (und dieser Punkt, daß mein
    Aedificium am Ende in Flammen aufgehen mußte, war mir von
    Anfang an klar gewesen, aber auch diesmal aus kosmologisch-
    historischen Gründen, denn im Mittelalter brannten Kathedralen
    und Klöster wie Zunder ab, und eine mittelalterliche Geschichte
    ohne Feuersbrunst wäre geradezu wie ein Kriegsfilm aus dem
    Pazifik ohne brennend vom Himmel stürzende Flugzeuge). So
    bastelte ich denn zwei bis drei Monate lang an der Konstruktion
    eines passenden Labyrinths, und am Ende mußte ich es mit
    Mauerschlitzen versehen, sonst wäre noch immer zu wenig
    Luftzug gewesen.
    Wer spricht?
    Ich hatte viele Probleme. Ich wollte einen geschlossenen Ort,
    ein allseits abgedichtetes Universum, und zur besseren Abdich-
    tung war es ratsam, außer der Einheit des Ortes auch die Einheit
    der Zeit einzuführen (wenn schon die Einheit der Handlung
    zweifelhaft war). Also eine Benediktinerabtei mit ihrem gere-
    gelten Tagesablauf im Rhythmus der kanonischen Stunden
    (vielleicht war der Ulysses das unbewußte Vorbild für den
    starren Aufbau nach Tageszeiten; aber es war auch der Zauber-
    berg für den hochgelegenen und fast klinisch weltabge-
    schiedenen Ort, an dem so viele lange Gespräche stattfinden
    sollten).
    Die Gespräche stellten mir allerhand Probleme, aber die löste
    ich erst beim Schreiben. Zum Beispiel die heikle und in den
    Theorien über die Kunst des Erzählens wenig behandelte Frage
    der turn ancillaries, das heißt der Mittel, durch welche der Autor seinen Personen das Wort erteilt. Achten wir auf die
    Unterschiede zwischen folgenden fünf Dialogen:
    1 »Wie geht es dir?«
    »Nicht schlecht, und dir?«
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    2 »Wie geht es dir?« sagte Hans.
    »Nicht schlecht, und dir?« sagte Peter.
    3 »Wie«, sagte Hans, »geht es dir?«
    Darauf Peter sogleich: »Nicht schlecht, und dir?«
    4 »Wie geht es dir?« fragte Hans besorgt.
    »Nicht schlecht, und dir?« gab Peter strahlend zurück.
    5 Da fragte Hans: »Wie geht es dir?«
    »Nicht schlecht«, erwiderte Peter mit tonloser Stimme,
    und fügte mit undefinierbarem Lächeln hinzu: »Und dir?«
    Außer in den zwei ersten Fällen haben wir unverkennbar die
    sogenannte »Enunziationsinstanz«: Der Autor interveniert mit
    einem persönlichen Kommentar, um dem Leser zu suggerieren,
    welchen Sinn die Worte der beiden annehmen können. Aber
    fehlt diese Absicht wirklich in den scheinbar neutralen
    Lösungen der beiden ersten Fälle? Und ist der Leser freier in
    den beiden neutralen Fällen, wo ihm eine Gefühlslage unterge-
    schoben werden kann, ohne daß er es merkt (man denke nur an
    die Schein-Neutralität der Dialoge bei Hemingway), oder ist er
    freier in den drei anderen Fällen, wo er zumindest weiß, welches
    Spiel der Autor da mit ihm treibt?
    Eine Stilfrage, eine Gewissensfrage, eine Frage der ideolo-
    gischen Haltung und eine Frage der »Poesie«, nicht weniger als
    die Wahl eines Binnenreims oder
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    einer Assonanz oder auch die Einführung eines Paragramms. In
    jedem Falle muß man versuchen, eine gewisse Kohärenz zu
    erreichen. Vielleicht kam mir in meinem Falle der Umstand zu
    Hilfe, daß alle Dialoge von Adson wiedergegeben werden, der
    ja nun wirklich unverkennbar die ganze Geschichte aus seiner
    Sicht erzählt.
    Die Dialoge stellten mir noch ein anderes Problem:
    Inwieweit konnten sie »mittelalterlich« sein? Mit anderen
    Worten, ich merkte beim Schreiben, daß mein Buch die
    Struktur einer Opera buffa annahm, eines tragikomischen
    Melodrams mit langen Rezitativen und großen Arien. Die
    Arien (zum Beispiel die Beschreibung des Kirchenportals)
    imitierten die große Rhetorik des Mittelalters, und da fehlte es
    nicht an Modellen. Aber die Dialoge? An einem bestimmten
    Punkt begann ich zu fürchten, daß meine Dialoge sozusagen
    Agatha Christie würden, während die Arien Suger oder Sankt
    Bernhard waren. Ich machte mich also erneut daran, die
    mittelalterlichen Romane zu lesen, will sagen die höfischen
    Ritterepen, und entdeckte schließlich, daß ich — mit ein paar
    Freiheiten meinerseits — im großen und ganzen doch einen
    dem Mittelalter nicht unbekannten erzählerischen und poeti-
    schen Usus wahrte. Aber das Problem hat mir lange zu
    schaffen gemacht, und ich bin mir nicht sicher, ob ich
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