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Der Eisplanet

Der Eisplanet

Titel: Der Eisplanet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Cooper
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1.
     
    Idris Hamilton, Kapitän der Dag Hammarskjöld, hatte etwa eine Stunde lang hinab zur Erde gestarrt. Er hätte besser daran getan, vorwärts zu schauen, sein geübtes Auge dafür zu verwenden, den Mars auszuspähen, ihn in seiner Vorstellungskraft zu vergrößern, bis er die Krater und Berge, die fünf Städte und die dünnen, unentbehrlichen, von Menschen geschaffenen Kanäle hätte erkennen können. Besser wäre es sogar gewesen, einfach gedankenlos – wie er es schon so oft getan hatte – den Blick auf all diese Stecknadelköpfe kalten Lichts zu richten, die im samtschwarzen Weltraum hingen. Aber Hamilton hatte sich gezwungen, zurück zur Erde zu blicken.
    Er hatte die Erde angeschaut, wie jemand das Gesicht eines sterbenden Freundes mustern mochte. Richtiger gesagt, eines toten Freundes. Denn die Erde trug bereits ihre Totenmaske. Sie war nicht länger das glänzende Prunkstück des Solsystems mit schimmernden Meeren, weißen und silbernen Wolken, mit sattgrünen Kontinenten, die Nachtseite erhellt von den Lichtfasern der Städte. Die Erde war in ihr Leichentuch gehüllt, ihr Sterbehemd aus Nebel, der nicht mehr wich. Auf diesem grauen Globus, der dort in der Leere stand, hunderttausend Meilen entfernt, gab es noch viele Millionen der Rasse Homo sapiens, die sich zum Sterben eine schamlos lange Zeit nahm.
    Dennoch war die Erde tot. Wenn ein Mensch stirbt, reagieren die Mikroorganismen, deren Wirt er ist, nicht sofort. Stirbt ein Planet, kann eine Anzahl von Lebensformen noch für eine Weile dahinsiechen. Die Erde war tot, und die Menschen auf ihr, unter jener grauen Nebelhülle, wußten gut genug darum. Aber sie waren mit ihrem eigenen, ihrem individuellen Sterben beschäftigt. Sie waren keine hirnlosen Mikroorganismen, sondern Menschen. Sie besaßen Lebenswillen und Intelligenz. Der Tod würde nicht leicht über sie kommen.
    Idris Hamilton beging den Fehler, sich in Gedanken zurück auf die Erde zu versetzen. Er zitterte, und ein Laut der Qual entfuhr ihm. Dann drückte er mit einem bebenden Finger den Knopf, der die Sichtflächen mit Duraluminblenden verschloß. Er hielt es nicht mehr aus.
    Die Dag Hammarskjöld war nun eine eigene, isolierte Welt, unterwegs zum Mars, wie eine Ratte, die ein sinkendes Schiff verläßt. Hamilton saß auf der Kante seines Konturensessels, und Tränen rannen über seine Wangen.
    Ich weine nicht, sagte er sich vernunftmäßig. Ich bin Kapitän dieses Raumschiffs und zum Jammern nicht befugt ... Es bedeutet etwas, Kapitän des letzten Raumschiffs zu sein, das von der Erde startet. Es heißt etwas, Zeuge der größten Krise in der Geschichte der Menschheit zu sein. Tränen sind nicht gerechtfertigt.
    Und doch – seine Augen wollten nicht trocken bleiben.
    Er brach seine in fünfzehn Jahren Raumdienst eingehaltene Gewohnheit. Vorsichtig schritt er über das Navigationsdeck zu einem der Notvorratsschränke, wie sie sich in jedem Sektor des Raumschiffs befanden, und nahm eine Plastikflasche voller Whisky – oder dem Gemisch aus Alkohol, Wasser und Aromastoffen, das heutzutage als Whisky galt. Ohne einen Tropfen zu verlieren, füllte er seinen Mund mit der scharfen Flüssigkeit. Dann schluckte er.
    Selbst als junger, übermütiger Fähnrich hatte sich Hamilton im Dienst niemals einen Schluck Alkohol erlaubt. Er hatte andere Männer verachtet, von denen er wußte, daß sie auf Wache tranken. Jetzt konnte er nur noch sich selbst verachten. Und er verachtete sich, weil man ihn zum Überleben bestimmt hatte.
    Der Whisky schmeckte bitter. Hamilton hustete und trank mehr. Der zweite Schluck schmeckte weniger bitter, aber das änderte nichts an der Tatsache, daß der Kapitän der Dag Hammarskjöld sich auf dem Weg der Zerrüttung befand.
    »Was denn, zum Teufel?« schimpfte er laut. »Ich bin allein. Wer soll schon erfahren, daß Kapitän Hamilton, Absolvent von fünfundsiebzigtausend Raumflugstunden, Träger des Raumdienstehrenkreuzes, sich zerrüttet?«
    »Ich, Kapitän.« Die Stimme gehörte Orlando Brackley. »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen.« Orlando schwebte in der Nullschwerkraft wie ein anmutiger Vogel über das Navigationsdeck.
    »Verzeihen Sie. Leutnant.«
    »Glauben Sie, Kapitän, Sie seien der einzige mit feuchten Augen?« Graziös ließ sich Orlando vor Hamilton mit den Füßen auf den Teppichboden sinken. Er bewegte sich immer graziös. Idris beneidete ihn. Die Jugend ... Orlando war erst dreiundzwanzig.
    »Wie geht es den Kindern?«
    »Alles ruhig. Sie machen

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