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Nachschrift zum Namen der Rose

Nachschrift zum Namen der Rose

Titel: Nachschrift zum Namen der Rose
Autoren: Umberto Eco
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den
    Registerwechsel vom Rezitativ zur Arie immer bewältigt habe.
    Ein weiteres Problem war das verschachtelte Ineinander der
    Erzählerinstanzen, die Verpuppung dessen,
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    der spricht. Ich wußte zwar, daß ich eine Geschichte mit den
    Worten eines anderen erzählte, und ich hatte ja auch im Vorwort
    darauf verwiesen, daß die Worte dieses anderen durch mindes-
    tens noch zwei weitere Instanzen gefiltert waren, nämlich durch
    Mabillon und Vallet, wenn man auch annehmen konnte, daß
    diese beiden den Text nur philologisch bearbeitet hatten, ohne
    ihn zu manipulieren (doch wer glaubte das schon?). Indessen
    stellte sich das Problem von neuem innerhalb der Erzählung, die
    Adson in der ersten Person vorträgt. Adson erzählt als achtzig-
    jähriger Greis, "was er als achtzehnjähriger Jüngling erlebt hat.
    Wer also spricht nun, Adson der Jüngling oder Adson der Greis?
    Beide natürlich, und das war gewollt. Das Spiel bestand darin,
    immer wieder den greisen Adson einzubringen, der über das, was
    er als Jüngling erlebt und empfunden hat, räsoniert. Das Vorbild
    dafür war (ohne daß ich den Roman noch einmal gelesen hätte,
    mir genügten vage Erinnerungen) der Serenus Zeitblom im
    Doktor Faustus. Dieses Wechselspiel mit zwei Erzählerstimmen hat mich sehr fasziniert und gepackt. Auch weil ich, um noch
    einmal auf die Frage der Maske zurückzukommen, durch diese
    Verdoppelung Adsons die Reihe der schützenden Trennwände
    zwischen mir als realer Person, als erzählendem Autor, erzählen-
    dem Ich, und den erzählten Romanpersonen samt dem fiktiven
    Erzähler-Ich noch einmal verdoppeln konnte. Ich fühlte mich
    immer geborgener, und die ganze Situation erinnerte mich (ich
    möchte fast sagen sinnlich, mit der Evidenz eines Geschmacks
    von in
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    Lindenblütentee aufgeweichten Madeleines) an gewisse kindli-
    che Spiele unter der Bettdecke, wenn ich mir vorkam wie in
    einem Unterseeboot, aus dem ich Botschaften an meine
    Schwester sandte, sie unter der Decke in einem anderen
    Kinderbett, wir beide isoliert von der Außenwelt und voll-
    kommen frei, uns Fahrten ins Weite auszudenken, lange
    Erkundungsreisen auf den Grund schweigender Meere.
    Adson war mir sehr wichtig. Von Anfang an wollte ich die
    gesamte Geschichte (samt ihren mysteriösen Vorfällen, ihren
    politischen und theologischen Ereignissen, ihren Ambiguitäten)
    mit der Stimme eines Chronisten erzählen, der durch das
    Geschehen wandert und alles mit der fotografischen Treue eines
    Heranwachsenden registriert, aber nichts begreift (und auch als
    Greis noch nicht voll begriffen hat, so daß er am Ende eine
    Flucht ins göttliche Nichts antritt, die nicht das ist, was ihn sein Meister gelehrt hatte). Alles begreiflich machen durch einen,
    der nichts begreift.
    Beim Lesen der Rezensionen merke ich nun, daß dies ein
    Aspekt des Romans ist, der die »gebildeten« Leser wenig beein-
    druckt hat, jedenfalls hat ihn kaum einer hervorgehoben. Aber
    ich frage mich heute, ob es nicht eines der Elemente ist, die zur
    Lesbarkeit des Romans für »naive« Leser geführt haben. Sie
    können sich mit der Unschuld des Erzählers identifizieren und
    sich gerechtfertigt fühlen, auch wenn sie nicht alles verstanden
    haben. Sie dürfen zugleich ihre Ängste wieder ausleben, ihr
    Zittern vor der Sexualität, vor den fremden Sprachen, den
    Schwierigkeiten des Denkens, den Ge-
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    heimnissen des politischen Lebens... Diese Dinge begreife ich
    heute, im nachhinein, aber vielleicht übertrug ich damals auf
    Adson vieles von meinen eigenen pubertären Ängsten, mit
    Sicherheit in seinen Liebeskrämpfen (aber stets auch mit der
    Gewähr, durch Mittelspersonen handeln zu können: faktisch
    empfindet und äußert Adson sein Liebesleid nur durch die
    Worte, mit denen die Kirchenväter von Liebe sprachen). Kunst
    ist Flucht aus der persönlichen Emotion, das hatten mich sowohl
    Joyce wie Eliot gelehrt.
    Der Kampf gegen die Emotion war manchmal sehr hart. Ich
    hatte ein schönes Gebet geschrieben, modelliert nach dem Lob
    der Natur von Alain de Lilie, um es William in einem Augen-
    blick starker Gefühlsregung in den Mund zu legen. Aber dann
    wurde mir klar, daß wir uns beide sehr erregt hätten, ich als
    Autor und er als Romanperson. Ich als Autor durfte es nicht, aus
    poetologischen Gründen. Er als Romanperson konnte es nicht,
    da er aus anderem Holz geschnitzt war und seine Emotionen
    entweder ganz »im Kopf« auslebte oder verdrängte. So habe ich
    jene Seite gestrichen. Nach
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