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Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Geschichte der deutschen Wiedervereinigung

Titel: Geschichte der deutschen Wiedervereinigung
Autoren: Andreas Rödder
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I. Vorabend der Revolution
    Die deutsche Revolution von 1989/90 verlief in zwei Phasen. Nachdem die friedliche Revolution in der DDR die Herrschaft der SED zu Fall gebracht hatte, radikalisierte sie sich nicht, wie es in Frankreich nach 1789 oder in Russland 1917 der Fall gewesen war. Stattdessen ging sie in die geregelten Bahnen der deutschen Wiedervereinigung über, indem die DDR der Bundesrepublik beitrat und die westdeutsche Ordnung auf die neuen Länder übertragen wurde. Dabei änderten sich im Übergang zwischen diesen beiden Phasen – darin wiederum anderen Revolutionen ähnlich – die treibenden Kräfte und Akteure.
    Möglich wurde die deutsche Revolution, weil sich die weltpolitische Situation Ende der achtziger Jahre grundlegend änderte. Auch dies stand in einer historischen Tradition, war doch die deutsche Frage seit ihren Anfängen in den Napoleonischen Kriegen von den internationalen Rahmenbedingungen abhängig gewesen. Erst die politische Kräfteverschiebung in Europa um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Gefolge des Krimkriegs hatte die Handlungsspielräume für die Reichsgründung von 1871 eröffnet. Und so wie die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Uneinigkeit der Siegermächte resultierte, die sich im Übergang zum Kalten Krieg nicht auf eine gemeinsame Lösung der deutschen Frage einigen konnten, so brachte erst der Zusammenbruch des Ostblocks wieder Bewegung in die deutsche Frage.
1. Das Ende des sowjetischen Imperiums
    Das Ende des Ost-West-Konflikts ging auf Veränderungen in Moskau zurück, deren Auswirkungen freilich keineswegs geplant waren. Denn als Michail Gorbatschow am 11. März 1985 zum mächtigsten Mann der östlichen Welt bestimmt wurde,wollte er den Kommunismus retten. Tatsächlich setzte seine Politik aber einen Prozess in Gang, der binnen weniger Jahre den endgültigen Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft auslöste. Der neue Generalsekretär der Kommunistischen Partei war jünger als seine alten und kranken Vorgänger, gebildeter und weltläufiger als die typischen Vertreter der alten Riege, und er sah die schwere ökonomische Krise, in der sich die Sowjetunion befand. Daher verordnete er dem Land Reformen. Ihr Ziel war keineswegs, den Kommunismus abzuschaffen, sondern ihn zu retten und zu verbessern. Gorbatschow war weder ein ideologieentleerter Zyniker noch ein marktwirtschaftlicher Demokrat, sondern ein reformkommunistischer Idealist, dabei ebenso pragmatisch wie sprunghaft und in sich widersprüchlich.
    «Perestroika» (Umgestaltung) war der zentrale Begriff der Reformpolitik, die freilich immer wieder unerwartete Folgewirkungen und Weiterungen zeitigte – wie im Falle der Kampagne gegen den Alkoholismus als Hauptverursacher des allgegenwärtigen Schlendrians am Arbeitsplatz. Nachdem die Herstellung und der Verkauf von Alkoholika eingeschränkt worden waren, nahm stattdessen die private Schwarzbrennerei sprunghaft zu, während die Zuckervorräte knapp wurden und das Defizit im Staatshaushalt wegen der ausbleibenden Steuereinnahmen anstieg.
    Um Eigenverantwortung und individuelle Leistung zu stärken, wurde eine Flut von Gesetzen zur marktwirtschaftlichen Reform der sozialistischen Wirtschaftsordnung erlassen, die sich allerdings nicht zu einem zusammenhängenden Konzept verbanden. Vielmehr unterhöhlten die Reformmaßnahmen die Grundlagen der zentralen Planwirtschaft und des politischen Systems. Teilweise brach blankes Chaos aus: Versorgungsengpässe und Schwarzmarkt, galoppierende Inflation und Streiks deuteten darauf hin, dass die Reformen eine von Gorbatschow und den Reformern nicht erwartete Eigendynamik gewannen.
    Dies blieb nicht auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt, denn anders als in China gingen die ökonomischen Reformen mit einer gesellschaftlich-politischen Öffnung einher. «Glasnost» –die Herstellung von Transparenz, Offenheit und Öffentlichkeit – lief auf Demokratisierungsmaßnahmen hinaus, die das Herrschaftsmonopol der Kommunistischen Partei aufweichten, und erfasste auch das staatlich verordnete Geschichtsbild. Als die Geschichtsdebatte auch auf Lenin und die Anfänge der Sowjetunion übersprang, war die Axt an die Wurzeln der sowjetischen Staatsideologie gelegt. Die Reformen gerieten außer Kontrolle.
    Die Reformpolitik brauchte dringend Entlastung. Und überlastet war die Sowjetunion vor allem nach außen. Sie hatte sich im Ost-West-Konflikt mit ihrem militärisch-industriellen Komplex, mit der Herrschaft über ihre
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