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Nachschrift zum Namen der Rose

Nachschrift zum Namen der Rose

Titel: Nachschrift zum Namen der Rose
Autoren: Umberto Eco
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mag
    auch damals nie jemand geschrieben haben, was er da sagt, so ist
    doch sicher, daß es jemand, wie konfus auch immer, zu denken
    begonnen haben mußte (womöglich ohne es auszusprechen, aus
    wer weiß wieviel Ängsten und Schamgefühlen).
    In jedem Fall hat mich eines sehr amüsiert: Wann immer mir ein
    Kritiker oder ein Leser schrieb oder sagte, da oder dort vertrete
    einer von meinen Mönchen zu moderne Gedanken, waren die
    inkriminierten Stellen genau und ausschließlich jene Passagen, die
    ich wortwörtlich aus Texten des 14. Jahrhunderts abgeschrieben
    hatte.
    Daneben gibt es andere Passagen, in denen die Leser gewisse
    Haltungen als erlesen »mittelalterlich« goutierten, die ich beim
    Schreiben als ungebührlich modern empfand. Es hat eben jeder
    seine eigene (meist verdorbene) Idee vom Mittelalter. Nur wir
    Mönche von damals wissen die Wahrheit, doch wer sie sagt,
    kommt bisweilen dafür auf den Scheiterhaufen.
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    Zum Schluß
    Zwei Jahre nachdem ich das Buch geschrieben hatte, fand ich
    ein altes Blatt aus dem Jahr 1953, auf dem ich mir, damals
    noch Student, notiert hatte:
    »Horatio und der Freund rufen Graf P. zur Lösung des
    mystery of the ghost. Graf P.: ein exzentrischer und phlegma-
    tischer Aristokrat. Dagegen: ein junger Hauptmann der
    dänischen Wache mit amerikanischen Methoden. Normaler
    Ablauf der Handlung nach den Grundlinien der Tragödie. Im
    letzten Akt, vor versammelter Sippschaft, erklärt Graf P. das
    Geheimnis: Der Mörder ist Hamlet. Zu spät, Hamlet stirbt.«
    Jahre später entdeckte ich, daß Chesterton schon eine solche
    Idee gehabt hatte. Kürzlich soll das Pariser OuLiPo (»Ouvroir
    de Littérature Potentielle«) ein Pattern aller möglichen
    Krimikonstellationen aufgestellt haben (der Mörder ist der
    Butler, der Mörder ist der Erzähler, der Mörder ist der Detek-
    tiv, usw. usw.), wobei herauskam: Es bleibt noch ein Buch zu
    schreiben, in dem der Mörder der Leser ist.
    Moral: Es gibt obsessive Ideen, sie sind niemals privat, die
    Bücher sprechen direkt miteinander, und eine wahre detekti-
    vische Untersuchung muß beweisen, daß immer wir die Schul-
    digen sind.
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    II »So höre nun, was die Stimme sagt, bevor der siebente Engel posaunt:
    >Versiegle, was die sieben Donner gesprochen haben, schreib es nicht auf.
    Nimm das Buch und verschling es, es wird dich im Bauche grimmen, aber in deinem Munde wird's süß sein wie Honig!< Siehst du, William? Ich versiegle, was dem Willen des Herrn zufolge nicht aufgeschrieben, werden sollte, ich begrabe es in dem Grab, das ich werde!« (Jorge von Burgos in Der Name der Rose, S. 61of.)
    Anmerkungen für den deutschen Leser
    1 Mexikanische Lyrikerin (1651—1695). Zu deutsch etwa: »Rose, die
    rot auf dem Anger / stolz du dich spreizest / gebadet in Purpur und
    Karmesin: / Prunke üppig und duftend. / Doch nein, denn schön
    seiend / wirst du bald unglücklich sein.«
    2 »Über die Weltverachtung«: beliebter Titel hoch- und spätmittel-
    alterlicher Traktate, vgl. Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters, Stuttgart 1975 (Kröners Taschenausgabe 204), Kapitel XI und XVI.
    3 »Doch wo ist der Schnee vom vorigen Jahr?«: Refrain der um 1460
    entstandenen Ballade des dames du temps jadis.
    4 »Es ist keine Rose (vorhanden).«
    5 Fermo e Lucia hieß die Urfassung von Alessandro Manzonis Roman I promessi sposi (dt. Die Verlobten), der 1827 in Mailand erschien.
    6 Romane von Ardengo Soffici (1879—1964), Giuseppe Antonio
    Borgese (1882-1952) und Vasco Pratolini (geb. 1913), z. T. auch ins
    Deutsche übersetzt: Rubè (Heidelberg 1928) und Metello, der Maurer (Zürich 1957).
    7 Unabhängige linkskommunistische Tageszeitung, für die Eco von
    1971 bis 1974 geschrieben hat.
    8 »Warum im Knabenalter der Koitus nicht gelingt«
    9 »Hast du die Dinge, so folgen die Worte«, bzw. »Hast du die Worte,
    so folgen die Dinge« (Cicero).
    10 Emilio Salgari (1863-1911), Verfasser von über hundert populären,
    noch heute vielgelesenen Abenteuerromanen ( La tigre della Malesia, 1963 verfilmt als Sandokan, la tigre di Monpracem), gilt als der
    »Karl May Italiens«.
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    11 Schulbeispiel aus Petrarca ( Rime CXXVIII, 49).
    12 Für das römische Nachrichtenmagazin L'Espresso (vergleichbar dem Hamburger Spiegel) schreibt Eco häufig Beiträge.
    13 Die Zeitungsrubrik »Verschiedenes« heißt in Italien cronaca.
    14 Schulbeispiele aus Manzonis Verlobten.
    15 Der Band Die Rolle des Lesers (ital. Lector in fabula, Mailand 1979, engl. The Role of the
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