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Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)

Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)

Titel: Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
Autoren: Dean Koontz
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1.
    Mit Eulenaugen und zu Tode erschrocken saß Warren Snyder auf einem Sessel in seinem Wohnzimmer. Seine Haltung war steif, sein Rücken kerzengerade, und seine Hände lagen mit den Handflächen nach oben auf seinem Schoß. Ab und zu zitterte seine rechte Hand. Sein Mund war einen Spalt geöffnet, seine Kinnlade leicht herabgesackt, und seine Unterlippe bebte beinah unablässig.
    An seiner linken Schläfe schimmerte eine silberne Perle. Sie war so abgerundet und so blank poliert wie der Kopf eines dekorativen Polsternagels und sah aus wie ein Ohrring am falschen Fleck.
    In Wirklichkeit war das Kügelchen mit Elektronik vollgepackt, mit Nanoschaltkreisen, und hatte insofern etwas vom Kopf eines Nagels, als es sich um den sichtbaren Teil einer nadeldünnen Sonde handelte, die durch ein pistolenähnliches Gerät in sein Gehirn geschossen worden war. Die sofortige chemische Verätzung von Fleisch und Knochen hatte jegliche Blutung verhindert.
    Warren sagte nichts. Ihm war befohlen worden, still zu sein, und er hatte die Fähigkeit zum Ungehorsam verloren. Bis auf seine zuckenden Finger und das Beben, beides unfreiwillig, rührte er sich nicht, noch nicht einmal, um seine Haltung zu verändern, da ihm gesagt worden war, er solle stillsitzen.
    Sein Blick wanderte zwischen zweierlei Sehenswertem hin und her: seinen Ehefrauen.
    Mit einer silbernen Perle an der linken Schläfe und den glasigen Augen eines dieser ausgebrannten Amphetamin-Junkies hockte Judy Snyder auf dem Sofa, die Knie geschlossen, die Hände friedlich auf dem Schoß gefaltet. Sie zuckte und zitterte nicht so wie ihr Mann. Sie schien furcht los zu sein, was vielleicht daran lag, dass die Sonde ihr Gehirn auf unbeabsichtigte Weise beschädigt hatte.
    Die andere Judy stand an einem der Wohnzimmerfenster zur Straße, blickte in die verschneite Nacht hinaus und musterte zwischendurch verächtlich ihre zwei Gefangenen. Sie gehörten zur Gattung der Plünderer der Erde. Bald wür den die beiden fortgeführt werden wie zwei Schafe, zur Ge staltung und Weiterverarbeitung. Und eines Tages, wenn die letzten Menschen ausgerottet waren, würde die Welt wieder so paradiesisch sein wie einst oder wie es jemals denkbar sein könnte.
    Diese Judy war kein Klon derjenigen, die auf dem Sofa saß, nichts so Widerwärtiges wie eine bloße Maschine aus Fleisch, denn mehr als das waren die Menschen nicht. Sie war dazu entworfen worden, als die echte Judy durchzugehen, doch diese Illusion würde nicht standhalten, falls ihre innere Struktur und die Beschaffenheit ihres Fleischs von Ärzten untersucht werden sollte. Sie war innerhalb weniger Monate im Bienenstock tief unter der Erde erschaffen, programmiert und als Erwachsene ausgeworfen – »geboren« – worden, ohne andere Glaubenssätze als ihr Programm, ohne die Illusion, sie besäße einen freien Willen, ohne jegliche Verpflichtung gegenüber irgendeiner anderen höheren Macht als Victor Leben, ihrem Schöpfer, dessen wahrer Nachname Frankenstein war, und ohne ein Leben nach diesem hier, dem all ihr Trachten zu gelten hatte.
    Durch den Spalt zwischen den Vorhängen beobachtete sie, wie ein hochgewachsener Mann die schneebedeckte Straße überquerte, die Hände in den Manteltaschen und das Gesicht dem Himmel zugewandt, als begeisterte er sich für das Wetter. Während er sich dem Haus auf dem Gehweg näherte, ließ er zum Spaß mit spielerischen Tritten Schnee aufwirbeln. Judy konnte sein Gesicht nicht sehen, doch sie nahm an, er müsse Andrew Snyder sein, der neunzehnjährige Sohn der Familie. Seine Eltern erwarteten etwa um diese Zeit seine Rückkehr von der Arbeit.
    Sie ließ den Vorhang sinken und trat aus dem Wohnzimmer in die Diele. Als sie Andrews Schritte auf der Veranda hörte, öffnete sie die Tür.
    »Andy«, sagte sie, »ich habe mir ja solche Sorgen gemacht.«
    Andrew zog seine Stiefel aus, um sie auf der Veranda stehen zu lassen, und schüttelte lächelnd den Kopf. »Du machst dir zu viele Sorgen, Mom. Ich habe mich noch nicht einmal verspätet.«
    »Nein, du bist nicht spät dran, aber heute Abend sind in der Stadt furchtbare Dinge geschehen.«
    »Furchtbare Dinge? Was soll das heißen?«
    Als Andrew auf Strümpfen in die Diele trat, schloss die Replikantin von Judy die Tür, drehte sich zu ihm um und begann seinen warmen Marinemantel aufzuknöpfen. Um, so gut sie konnte, mütterliche Sorge vorzutäuschen, sagte sie: »Du holst dir noch den Tod bei diesem Wetter.«
    Er nahm den Schal ab und fragte noch einmal:
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