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Nachschrift zum Namen der Rose

Nachschrift zum Namen der Rose

Titel: Nachschrift zum Namen der Rose
Autoren: Umberto Eco
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sich
    herum... Dieser Schriftsteller kann vielleicht nicht hoffen, die
    Verehrer von James Michener und Irving Wallace zu erreichen,
    um nicht von den durch die Massenmedien lobotomisierten An-
    alphabeten zu reden, aber er müßte hoffen, wenigstens hin und wieder ein breiteres Publikum zu erreichen als nur die Zirkel
    derer, die Thomas Mann die Urchristen, die Jünger der Kunst
    nannte. Der ideale postmoderne Roman müßte den Streit
    zwischen Realismus und Irrealismus, Formalismus und
    >Inhaltismus<, reiner und engagierter Literatur, Eliten- und
    Massenprosa überwinden. .. Die Analogie, die ich vorziehe, ist
    eher die zu gutem Jazz oder klassischer Musik: Beim Wieder-
    hören und Analysieren der Partitur entdeckt man vieles, was
    einem beim ersten Mal noch entgangen war, aber beim ersten
    Mal muß einen das Stück so gepackt haben, daß man Lust
    bekommt, es wiederzuhören, und das gilt sowohl für die
    Spezialisten wie für die Nichtspezialisten...« So Barth 1980, als
    er das Thema erneut behandelte, diesmal aber unter dem Titel
    »Die Literatur der Fülle«.
    Natürlich kann man das alles auch pointierter, polemischer
    und mit größerer Lust am scharfen Paradox sagen, wie es zum
    Beispiel Leslie Fiedler tut (in einer kürzlich auch bei uns
    veröffentlichten Diskussion zwischen ihm und anderen
    amerikanischen Autoren).21 Fiedler will provozieren, das ist
    evident: Er lobt den
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    Letzten der Mohikaner, die populären Abenteuerromane, die
    Gothic Novel, den ganzen von den Kritikern stets verachteten
    Plunder, der es gleichwohl verstanden hat, Mythen zu schaffen
    und die Bilderwelten von mehr als einer Generation zu
    bevölkern. Er fragt sich, ob je noch einmal so etwas erscheinen
    werde wie Onkel Toms Hütte, ein Buch, das mit gleicher
    Leidenschaft in Küche, Salon und Kinderzimmer gelesen
    werden kann. Er tut Shakespeare auf die Seite der guten Enter-
    tainer, zusammen mit Vom Winde verweht... Wir wissen, daß er ein viel zu subtiler Kritiker ist, um das alles wirklich zu
    glauben. Er will ganz einfach die Schranke niederreißen, die
    zwischen Kunst und Vergnügen errichtet worden ist. Er ahnt,
    daß ein breites Publikum zu erreichen und seine Träume zu
    bevölkern heute womöglich heißen kann, Avantgarde zu bilden;
    und er läßt uns dabei noch die Freiheit zu sagen, daß die
    Träume der Leser zu bevölkern nicht unbedingt heißen muß, sie
    zu besänftigen, mit versöhnlichen Bildern zu trösten. Es kann
    auch heißen, sie aufzuschrecken: mit Alpträumen, Obsessionen.
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    10 »Auf einen huldvollen Wink des Abtes erschien nun die Prozession der Jungfrauen. Es war ein prachtvoller Zug reich gechmückter Damen, in
    deren Mitte ich zuerst meine Mutter zu erkennen glaubte, doch bald
    bemerkte ich meinen Irrtum, denn es war ohne Zweifel das Mädchen,
    schrecklich wie eine waffenstarrende Heerschar; Nur daß sie auf dem
    Haupte ein Diadem aus zwei Reihen weißer Perlen trug, und je zwei
    weitere Perlenketten fielen ihr rechts und links die Wangen hinunter...«
    (Adsons Traum in Der Name der Rose, S. 544f.)
    Der historische Roman
    Seit zwei Jahren weigere ich mich, auf sinnlose Fragen zu
    antworten. Etwa die Frage, ob mein Werk nun ein »offenes« sei
    oder nicht. Wie soll ich das wissen, das ist doch nicht mein
    Problem! Mir genügt, was Harald Weinrich darauf geantwortet
    hat (im Merkur, Heft 1/1983). Oder die Frage, mit welcher von meinen Personen ich mich identifiziere. Mein Gott, womit
    identifiziert sich ein Autor? Mit den Adverbien, das ist doch
    klar.
    Die sinnloseste aller sinnlosen Fragen war die jener Leute, die
    meinen, wenn einer aus alten Zeiten erzählt, wolle er aus seiner
    Gegenwart fliehen. Ob das richtig sei, fragen sie mich. Aber ja,
    gewiß doch, antworte ich. Manzoni erzählt vom 17. Jahrhundert,
    weil ihn sein eigenes nicht interessiert. Karl May berichtet von
    den Indianern seiner ureigensten Zeit, während Hebbel sich zu
    den Nibelungen davonmacht. Erich Segal engagiert sich in Love
    Story voll für die amerikanische Gegenwartsrealität, während
    Stendhal in seiner Kartause bloß alten Kram von vor zwanzig
    Jahren aufwärmt ...
    Müßig zu sagen, daß alle Probleme des modernen
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    Europa, wie wir sie heute kennen, im Mittelalter entstanden
    sind, von der kommunalen Demokratie bis zum Bankwesen,
    von den Städten bis zu den Nationalstaaten, von den neuen
    Technologien bis zu den Revolten der Armen: Das Mittelalter
    ist unsere Kindheit, zu der wir immer wieder
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