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Nachschrift zum Namen der Rose

Nachschrift zum Namen der Rose

Titel: Nachschrift zum Namen der Rose
Autoren: Umberto Eco
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Hand-
    schriften mikrofilmen zu können). So ist das Mittelalter zwar
    nicht mein Beruf, wohl aber mein Hobby geblieben - und meine
    stete Versuchung, denn ich sehe es überall durchscheinen in den
    Dingen, mit denen ich mich beschäftige, die nicht mittelalterlich
    erscheinen und es doch sind... Heimliche Ferien unter den
    Säulen und Rundbögen von Autun, wo heute der Abt Grivot
    Manuale über den Teufel schreibt mit schwefelgetränktem
    Einband, sommerliche Ekstasen vor den Portalen von Conques
    und Moissac, betört von den vierundzwanzig Greisen der
    Apokalypse oder von Teufeln, welche die armen verdammten
    Seelen in kochende Kessel pferchen; zugleich Regenerationen
    des Geistes durch Lektüre des Aufklärer-Mönches Beda,
    Tröstungen der Vernunft durch das Studium Ockhams, um die
    Geheimnisse der Zeichen auch dort zu verstehen, wo Saussure
    noch dunkel geblieben ist. Und so weiter, mit fortdauernder
    Nostalgie nach der Peregrinatio Sancti Brendani, mit Über-
    prüfungen unseres Denkens am altirischen Book of Kells, mit
    Borges, wiedergefunden in den keltischen Kenningar, mit Kon-
    trolluntersuchungen zum Verhältnis von überredeten Massen
    und Macht anhand der Tagebücher des Abt-Bischofs Suger...«
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    4 »Ich sah eine Lüsterne, nackt und entfleischt, rot von
    ekligen Schwären, Schlangen fraßen an ihrem Leib, daneben ein
    trommel-bäuchiger Satyr...« (Adson von Melk in Der Name der
    Rose, S. 60 f.)
    Die Maske
    In Wahrheit beschloß ich nicht nur, vom Mittelalter zu erzäh-
    len, sondern im Mittelalter, nämlich durch den Mund eines
    mittelalterlichen Chronisten. Ich war als Erzähler Debütant, ich
    hatte bisher die Erzähler stets nur von außen betrachtet, von der
    anderen Seite der Barrikade. Ich schämte mich zu erzählen. Ich
    kam mir vor wie ein Theaterkritiker, der sich plötzlich im Ram-
    penlicht exponiert, auf offener Bühne vor den Augen all derer,
    mit denen er bisher komplizenhaft im Parkett gehockt hatte.
    Kann einer, der erzählen will, heute noch sagen: »Es war ein
    klarer spätherbstlicher Morgen gegen Ende November«, ohne
    sich dabei wie Snoopy zu fühlen? Was aber, wenn ich Snoopy
    das sagen ließe? Wenn also die Worte »Es war ein klarer
    spätherbstlicher Morgen. ..« jemand sagte, der dazu berechtigt
    war, weil man zu seiner Zeit noch so anheben konnte? Eine Mas-
    ke, das war's, was ich brauchte.
    Ich setzte mich also hin und las (erneut) die mittelalterlichen
    Chronisten, um mir den Rhythmus und die Unschuld ihrer
    Erzählweise anzueignen. Sie sollten für mich sprechen, dann war ich frei von jedem Verdacht.
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    Von jedem Verdacht, aber nicht vom Gewicht der Vergangen-
    heit, von den Echos der Intertextualität;
    Denn nun entdeckte ich, was die Dichter seit jeher wußten
    (und schon so oft gesagt haben): Alle Bücher sprechen immer
    von anderen Büchern, und jede Geschichte erzählt eine längst
    schon erzählte Geschichte. Das wußte Homer, das wußte Ariost,
    zu schweigen von Rabelais und Cervantes... Ergo konnte meine
    Geschichte nur mit der wiedergefundenen Handschrift beginnen,
    und auch das wäre dann (natürlich) nur ein Zitat. So schrieb ich
    zunächst das Vorwort, indem ich meine Erzählung, verpackt in
    drei andere Erzählungen, in den vierten Grad der Verpuppung
    setzte: Ich sage, daß Vallet sagte, daß Mabillon sagte, daß
    Adson sagte...
    Nun war ich von allen Ängsten frei. Und an diesem Punkt
    hörte ich wieder auf zu schreiben. Ich hörte auf für ein ganzes
    Jahr, weil ich noch etwas anderes entdeckte, was ich zwar schon
    wußte (alle wußten es), aber erst beim Arbeiten richtig verstand.
    Ich entdeckte nämlich, daß ein Roman zunächst einmal gar
    nichts mit Worten und Sprache zu tun hat. Das »Schreiben«
    eines Romans ist ein kosmologischer Akt — wie der, von
    welchem die Genesis handelt (irgendein Vorbild muß man sich
    schließlich nehmen, sagte Woody Allen).
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    5 Templum apertum — Ubi bestia descendet de abisso: Das Tier aus dem Abgrund, darüber der Tempel mit der Bundeslade (Apokalypse II,
    7,und 19) - »Das Tier geht um in der Abtei... Das große Tier, das aus dem Meer steigt..., der Antichrist... Er wird bald kommen. Das
    Jahrtausend ist um, wir erwarten ihn...» (Alinardus von Grottaferrata in Der Name der Rose, S. 200-202)

    5 Templum apertum - Übt bestia descendet de abisso: Das
    Tier aus dem Abgrund, darüber der Tempel mit der Bundeslade
    (Apokalypse n, ;7 und 19) — »Das Tier geht um in der Abtei...
    Das große Tier, das aus dem
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