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Nachschrift zum Namen der Rose

Nachschrift zum Namen der Rose

Titel: Nachschrift zum Namen der Rose
Autoren: Umberto Eco
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einen Roman geschrieben, weil ich Lust dazu hatte.
    Ich halte das für einen hinreichenden Grund, sich ans Erzählen
    zu machen. Der Mensch ist von Natur aus ein animal fabulator.
    Begonnen habe ich im März 1978, getrieben von einer vagen
    Idee: Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften. Ich glaube,
    Romane entstehen aus solchen Ideen-Keimen, der Rest ist
    Fruchtfleisch, das man nach und nach ansetzt. Es muß eine alte
    Idee gewesen sein: Ich fand später ein Notizheft aus dem Jahr
    1975, in welchem ich mir eine Liste von Mönchen eines
    unbestimmten Klosters angelegt hatte. Nichts weiter. Als erstes
    machte ich mich daran, den Traité des poisons von Orfila zu
    studieren - den ich zwanzig Jahre zuvor bei einem Bouquinisten
    am Seineufer erstanden hatte, aus reiner Treue zu Huysmans
    (Là-bas). Da keins der behandelten Gifte mich befriedigte, bat ich einen befreundeten Biologen, mir ein Pharmakon mit
    bestimmten Eigenschaften (Absorbierbarkeit über die Haut bei
    Berührung von zweckmäßig präparierten Gegenständen) zu em-
    pfehlen. Seinen Antwortbrief, in dem er mir schrieb, er kenne
    leider kein Gift, das meinen Wünschen entspreche, habe
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    ich unverzüglich vernichtet: Schriftstücke solcher Art bringen
    ihren Besitzer, liest man sie in einem anderen Kontext, leicht an
    den Galgen.
    Ursprünglich sollten meine Mönche in einem, zeitgenös-
    sischen Kloster leben (ich dachte an einen Mönchs-Detektiv,
    der II Manifesto7 las). Aber da Klöster oder Abteien noch
    immer von allerlei mittelalterlichen Erinnerungen zehren,
    stöberte ich in meinen Archiven aus mediävistischen
    Studientagen (1956 ein Buch über die mittelalterliche Ästhetik,
    1959 weitere hundert Seiten zum Thema, ein paar Aufsätze hier
    und da, 1962 erneute Rückkehr zur mittelalterlichen Tradition
    für meine Arbeiten über Joyce, 1972 dann eine längere Studie
    über die Apokalypse und über die Miniaturen des Kommentars
    von Beatus Liébanensis - ich war also nie ganz aus der Übung
    gekommen). Mir fiel ein breitgefächertes Material in die Hände:
    Textauszüge, Fotokopien, Notizen, die sich seit 1952 ange-
    sammelt hatten, um anderen gänzlich vagen Zwecken zu dienen
    - einer Geschichte der Monster, einer Studie über die mittel-
    alterlichen Enzyklopädien, einer Theorie der Aufzählung...
    Nach einer Weile sagte ich mir, wenn das Mittelalter ohnehin
    mein tägliches Imaginarium ist, könnte ich ebensogut auch
    einen Roman schreiben, der unmittelbar in jener Epoche spielt.
    Denn wie ich einmal in einem Interview sagte, die Gegenwart
    kenne ich nur aus dem Fernsehen, über das Mittelalter habe ich
    Kenntnis aus erster Hand. Bei einem Familienausflug, als wir
    einmal ein Feuer im Freien machten, warf meine Frau mir vor,
    ich hätte gar keinen Blick für die
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    Funken, die zwischen den Bäumen aufflogen und als Leucht-
    streifen durch die Abendluft segelten. Als sie dann das Kapitel
    über den Brand der Abtei las, rief sie erstaunt: »Also hast du
    doch die Funken gesehen!« Worauf ich erwiderte: »Nein, aber
    ich wußte, wie ein mittelalterlicher Mönch sie gesehen hätte.«
    Vor zehn Jahren, in einem Brief an den Verleger Franco
    Maria Ricci, geschrieben als Nachwort zu meinem Kommentar
    über den Apokalypsenkommentar des Abtes Beatus von Liéba-
    na, gestand ich:
    »Wie man's auch dreht und wendet, ich gelangte zur For-
    schung, indem ich symbolische Wälder durchstreifte, darinnen
    es Greife und Einhörner gab, indem ich die spitzzinnigen und
    quadratischen Bauformen der Kathedralen mit den exegetischen
    Spitzfindigkeiten in den Vierkantformeln der Summulae
    verglich, indem ich zwischen Notre Dame und zisterziensischen
    Kirchen vagabundierte, freundlich plaudernd mit gebildeten und
    gespreizten Cluniazensermönchen, beargwöhnt von einem
    schwerfälligen und rationalistischen Aquinaten, in Versuchung
    geführt von Honorius Augustoduniensis mit seinen phantas-
    tischen Geographien, aus denen man nicht nur erfährt, quare in
    pueritia coitus non contingat8, sondern auch, wie man zur
    Verlorenen Insel gelangt und wie man einen Basilisken fängt,
    ausgerüstet nur mit einem Taschenspiegel und einem uner-
    schütterlichen Glauben an das Bestiarium... Diese Vorlieben
    und Leidenschaften haben mich nie verlassen, auch nicht, als
    ich später aus geistigen und materiellen Gründen andere Wege
    beschritt
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    (wer Mediävistik betreiben will, muß oft beträchtliche Mittel
    aufwenden, um in ferne Bibliotheken reisen und seltene
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