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Nach uns die Kernschmelze

Nach uns die Kernschmelze

Titel: Nach uns die Kernschmelze
Autoren: Robert Spaemann
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sah es übrigens auch Sacharow.
    Inzwischen ist die Zahl der Atomwaffen in der Welt ins Absurde gestiegen, sie einzusetzen aber, das heißt der atomare Erstschlag, völkerrechtlich verboten, was immer das im Ernstfall bedeuten mag. Stattdessen haben wir nun also die »friedliche Nutzung«, die wiederum angeblich alternativlos ist. Ich will hier nicht die öffentliche Debatte in Deutschland neu aufrollen, sondern nur dem bisher Geschriebenen und Gesagten einen Gedanken hinzufügen: Dass die erste Nutzung dieser Technologie die Atombombe war, ist kein Zufall. Die Entfesselung dieser Art von Energie ist selbst schon der Anfang des Unfriedlichen, wie wir zu lernen beginnen. Christliche Apologeten äußern gelegentlich, Gott habe doch diese Energie dem Menschen zur Verfügung gestellt. Aber da stimmt etwas nicht. Diese Kraft dient in der Natur dem Zusammenhalt der materiellen Welt. Wenn wir an einem windstillen, sonnigen Maimorgen durch die frühlingshafte Landschaft wandern, sind wir uns in der Regel nicht der ungeheuren Energie bewusst, die diese friedliche Gestalt ermöglicht. Wer am Rheinfall von Schaffhausen steht, kann beobachten, wie eine ruhige, fast unbewegte Wasserfläche dort, wo das Gefälle beginnt, sich im Herabstürzen in ein wildes Tosen verwandelt, um, unten aufgeprallt, dann rasch wieder zur Ruhe zu kommen, als wäre nichts gewesen. Zersprengte Atome kommen jedoch so schnell nicht wieder zur Ruhe. Genauer gesagt, sie kommen vielleicht in etwa 25000 Jahren zur Ruhe. Es grenzt schon an Frivolität zu behaupten, Gott habe gewollt, dass wir die Bewohnbarkeit von Teilen unseres Planeten für Jahrtausende verwetten, um jetzt unseren Lebensstandard zu erhalten.
    Vermutlich wird es schon in 10000 Jahren keine Menschen mehr geben, jedenfalls aber keine wissenschaftlich-technische Zivilisation mehr, in der überhaupt noch bekannt ist, worum es sich bei diesen Gefahrenquellen handelt. Die letzte große Völkerwanderung hat das Wissen der griechisch-römischen Kultur weitgehend in Vergessenheit geraten lassen. Wie es menschenmöglich war, die gewaltigen Steine in Stonehenge aufeinanderzutürmen, ist uns bis heute unbekannt. Man konnte dieses Wissen nicht über so lange Zeiträume weitergeben. Und hier handelt es sich nur um wenige Jahrtausende. Wenn es aber noch Menschen geben wird, dann tragen wir zwar für sie Verantwortung, aber keine positive Verantwortung; für ihr Glück müssen sie schon selbst sorgen. Wir haben aber die Pflicht, ihnen die elementaren Ressourcen des Lebens ungeschmälert zu übergeben. Wir müssen nicht über einen verborgenen Ratschluss Gottes spekulieren – »Du hast mir die Wege des Lebens bekanntgemacht«, heißt es im Psalm. Es genügt, unsere Vernunft zu gebrauchen, um zu wissen, was gut und was schlecht ist.

1.  
Technische Eingriffe in die Natur als Problem der politischen Ethik (1979) 1
    Vorbemerkung
    Moderne Technologien auf physikalischem und biologischem Gebiet, insbesondere Atomspaltung und genetische Manipulation, werfen moralische Probleme auf, für deren Lösung traditionelle philosophische und theologische Argumentationen nur dann Hilfe bieten, wenn wir sie in ihrer abstraktesten und allgemeinsten Form heranziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die moralischen Probleme sich mit den politisch-rechtlichen überschneiden, das heißt mit der Frage nach der Verantwortlichkeit des Staates für die möglichen Folgen und Nebenfolgen der Anwendung dieser Technologien. Um hier zu Ergebnissen zu gelangen, die allgemeine Einsichtigkeit beanspruchen können, ist es deshalb erforderlich, sich der Grundlagen der Argumentation Schritt für Schritt zu versichern. Ich beginne daher mit einer Erörterung des allgemeinen moralphilosophischen Problems der Zumutbarkeit von Nebenwirkungen , um in einem zweiten Teil Gesichtspunkte zur Beurteilung technischer Eingriffe in die natürliche Umwelt zu entwickeln.
    I – Zumutbarkeit von Nebenwirkungen
    Es liegt im Wesen menschlicher Handlungen, dass sie Nebenwirkungen hervorbringen. Dieser Satz ist nur die Kehrseite des anderen, dass Handeln auf Zwecke gerichtet ist. »Zweck« heißt jene Folge, die der Handelnde aus der Gesamtheit der Handlungsfolgen intentional heraushebt und im Verhältnis zu welcher er alle anderen Folgen zu Nebenfolgen, zu Mitteln oder zu Kosten herabsetzt. Nur durch solche Selektion wird Handeln überhaupt möglich, und nur durch sie wird es von »blinden« Naturereignissen unterscheidbar. Der Unterschied zwischen
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