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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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das Geländer kletterte, rief sein Vater nach ihm. Die Pistole fiel ins Wasser und versank, funkelnd wie die Glücksmünzen seiner Mutter. Er starrte hinab und sah nichts. Eine Hand griff nach ihm, aber er fiel. Das Wasser war warm, es umfing ihn mit rauschender Stille.

14
    Ich bin aufgetaucht. Das Wasser ist grün und kalt. Die Sonne wärmt mir den Kopf. Ich blinzle und kneife die Augen zusammen. Auf den Hügeln hinter mir grasen Schafe.
    Ich bin nicht ertrunken. Statt tot auf dem dunklen Grund des Grabens im Zoo von New York zu liegen, bin ich in Irland. Neun Stunden Flug vom JFK-Airport nach Dublin. Danach fünf Stunden Busfahrt nach Donegal Town, über Cavan und Enniskillen. Die letzte Strecke mit dem Taxi, zwei Stunden durch Kindheitsland, vorbei an Piratensegeln, Zirkuswiesen, an Ritterburgen, Indianerpferden, an sprechenden Eseln, tanzenden Hunden und dem größten Baum der Welt.
    Das Haus sehen, nach so langer Zeit, es nicht betreten, noch nicht. Die rote Tür, die Farbe ausgebleicht wie die Erinnerung. Der Hügel eingesunken, kein Berg mehr, nicht einmal für Kinder. Mit geschlossenen Augen dastehen und das Radio hören zwischen dem Rauschen des Meeres. Colms Land, das Gras zum summenden Wald geworden, verschwundene Wege.
    Am zweiten Tag war ich auf dem Friedhof. Ich saß so lange da, dass ich in die Erde sehen konnte. Die Urne meiner Mutter, zwei Hände voll glitzerndem Staub, eingesunken in Orlas Bauch. Wolken flogen nur für sie. Ich versuchte zu singen, dann erzählte ich, langsam und sorgfältig, wusste keinen Anfang und kein Ende. Colms Grab ist zur Wildnis geworden, im Baum über seinem Kopf haben Vögel ein Nest gebaut, Käfer laufen auf dem Grabstein, umkreisen unermüdlich seinen Namen.
     
    Einen ganzen Nachmittag verbrachte ich beim Notar. Eamons Geld will ich noch immer nicht. Das Gold und die Diamanten des Matrosen. Es ist zu viel geworden in all den Jahren, und es gehört mir so wenig wie es Eamon gehörte. Vielleicht hilft es den Hinterbliebenen der südafrikanischen Seeleute, die mit der Pride of Durban untergegangen sind. Harold hat mich auf die Idee gebracht und alles erledigt. Meine beiden Retter von Coney Island wollten keine Belohnung, also habe ich Harold gebeten, ihnen die beste Angelausrüstung zu besorgen, die man in New York City kaufen kann.
    Zwei Wochen vor meiner Abreise aus Amerika rief Alfred an und sagte, im Hotel der alten Männer lägen drei Briefe für mich, also fuhr ich hin. Es waren standardisierte Schreiben der Verlage, denen ich meine Bruce-Willis-Biografie angeboten hatte. Drei Absagen. Ich hatte das Buch völlig vergessen und war über die Ablehnung enttäuschter, als ich der versammelten Lobbytruppe gegenüber zugeben wollte. Bis ich im Flugzeug saß, verwünschte ich diese Idioten von Verlegern und Lektoren und spielte sogar mit dem Gedanken, sie anzurufen und zu beschimpfen. Aber dann flog ich über den Atlantik und dachte, was soll’s. Irgendwo zwischen Neufundland und Dublin habe ich Bruce Willis abgehakt, wie ich Fintan Taggart oder John Townsend abgehakt habe.
    Alfred will uns bald besuchen. Er hat sich in eine Frau verliebt, Olga Sweetwater, Witwe eines kürzlich verstorbenen Fleischgroßhändlers. Die beiden haben sich auf dem Friedhof kennengelernt, wo Alfred Spencers Grab und sie das ihres Mannes besuchte. Seine Betrachtungen zur Einsamkeit vor einem Grabstein hätten Olga tief berührt, erzählte Alfred am Telefon. Jedenfalls will er Olga noch in diesem Herbst heiraten und dann mit dem ganzen Tross herüberfliegen zu uns. Mazursky sei schon ganz aufgeregt und habe gefragt, ob man für den Flug sein eigenes Essen mitbringen müsse.
    Hinter mir, auf einem Felsbrocken, sitzt Aislin Lynch. Sie und Mary O’Sea wohnen mit Fiona, Sean und Kieran in Orlas Haus. Sie haben alles neu gestrichen und einen großen Garten angelegt. Im Hof, wo Orla und ich früher spielten, laufen Hühner herum. Ihr Gackern vermischt sich mit dem Blöken der Schafe, das der Wind über die Hügel trägt. Alice hat vorgeschlagen, wir sollten uns welche zulegen und ihr die Wolle verkaufen.Fast zweihundert Tiere haben wir uns angeschafft. Im September kommt Alice aus New York, um sich alles anzusehen. Auf dem Land hofft sie ein paar Frauen zu finden, die stricken können. Einen Hund, der auf die Schafe aufpasst, gibt es auch. Es ist einer von McGonigles Streunern. Er lag am Straßenrand, von einem Auto angefahren. Der Tierarzt in Letterkenny hat ihn zusammengeflickt, so gut es ging.
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