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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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ihn, und er legte die Hand auf die Tischkante.
    »Dame?«
    »Nein.«
    »Karten. Was ist mit Karten?«
    Wilbur erinnerte sich an die Abende mit Colm. »Rommé«, sagte er.
    »Auch gut. Ich sag dir was, wir spielen ein paar Runden, dann fahr ich dich nach Brooklyn.« Murphy ging zum Schrank, öffnete eine Schublade und wühlte darin herum.
    »Lieber nicht«, sagte Wilbur. »Ich kann mir ein Taxi nehmen.«
    »Nein, kannst du nicht«, sagte Murphy, ohne ihn anzusehen. »Du hast kein Geld für ein Taxi nach Brooklyn.« Er drehte sich um, präsentierte ein Set Karten und grinste. »Mein Boss hat dir das Geld für die Drinks aus der Brieftasche genommen. Du hast noch etwa fünf Dollar.« Er schob die Sachen auf dem Tisch zur Seite, setzte sich hin und mischte die Karten.
    Wilbur tastete nach seiner Brieftasche und stellte fest, dass sie noch da war. »Ich kann zu Fuß gehen. Wird meinem Kopf guttun.« Er lächelte, hob die Hand.
    Murphy mischte weiter die Karten. »Weißt du, wie langweilig es hier unten werden kann? Wie lange eine Zehnstundenschicht dauert? Wie sehr man sich irgendwann nach menschlicher Gesellschaft sehnt?«
    Wilbur zuckte mit den Schultern. Er wollte gehen, aber sein schlechtes Gewissen Murphy gegenüber hielt ihn davon ab. Außerdem fühlte er sich wacklig auf den Beinen. Das Summen in seinem Kopf war einem Druck gewichen, als würde sich das Hirn mit flüssigem Blei vollsaugen.
    »Weißt du, wer deine Kotze aufgewischt hat?« Murphy verteilte die Karten.
    Wilbur zog den Mantel aus und setzte sich auf den zweiten Stuhl. Murphy verteilte die Karten.
     
    Es war halb fünf, als Wilbur hinter Murphy zu dessen Mazda ging, der auf dem Hinterhof der Bar stand und zwischen den Pfützen und dem Abfall aussah wie ein Wagen auf dem Schrottplatz. Murphy öffnete die Beifahrertür und warf Wilbur die Schlüssel zu. »Du fährst.«
    Wilbur fischte den Schlüsselbund aus einer Pfütze und schüttelte ihn. »Ich kann nicht fahren.«
    »Ich auch nicht.« Murphy setzte sich ins Auto. Er hatte während des Kartenspiels zwei Joints geraucht und immer glasigere Augen bekommen. Wilbur hatte ihn gewinnen lassen und Kaffee getrunken, während Murphy seinen Durst mit Bier löschte, das ihm von einem Freund aus der Oberwelt mit dem Lift heruntergeschickt worden war. Jetzt saß er da und klebte im Schoß weitere Zigarettenpapierchen zusammen, beschienen vom gelben Licht der Innenbeleuchtung.
    »Ich kann nicht Auto fahren«, sagte Wilbur. Er sah in eine Pfütze, in der neben seinem Kopf der Mond schwamm.
    »Blödsinn.« Murphy kramte etwas aus der Jackentasche und hielt es gegen die Scheibe.
    Wilbur ging näher heran und erkannte seinen Führerschein.
    »Nun steig schon ein.«
    Wilbur öffnete die Fahrertür. »Kann ich den bitte zurückhaben?«
    »Erst fährst du los.« Murphy zerbröselte den Tabak einer Zigarette auf das kunstvolle Gebilde aus diagonal versetzt geklebten Papierchen.
    Wilbur ließ sich in den Fahrersitz fallen, atmete einmal tief ein und aus. »Ich weiß nicht mehr, wie das geht«, sagte er.
    »Zündschlüssel drehen, Fuß aufs Bremspedal, Gang rein, Fuß aufs Gaspedal, lenken.«
    Eine Weile saß Wilbur einfach nur da und starrte durch die Windschutzscheibe in die Nacht. Sie standen vor einer Mauer, also musste er zuerst ein Stück rückwärts fahren. Er betrachtete die Armaturen, den Schalthebel, legte die Hände auf das Lenkrad und den rechten Fuß auf das breite Pedal in der Dunkelheit unter ihm. Neben ihm hielt dieser seltsame Mensch, dessen Alter er aus Mangel an Anhaltspunkten irgendwo zwischen dreißig und fünfzig ansiedelte, ein Feuerzeug an ein Stück Haschisch, was aussah, als wolle er einen Brief mit braunem Lack versiegeln. Schließlich zog Wilbur die Tür zu, schnallte sich an und drehte den Schlüssel um. Der Motor gab ein Geräusch von sich, sprang aber nicht an.
    »Er springt nicht an.«
    »Er wird.« Murphy krümelte das Haschisch auf den Tabak. Auf seinem Hals saß eine Spinne, deren Rücken ein Kreuz zierte. Wilbur fragte sich, ob Murphys gesamter Körper von Tattoos bedeckt und ob die Prozedurschmerzhaft war und was in aller Welt er in diesem Auto verloren hatte. Dann drehte er den Zündschlüssel erneut, und nach einem schleifenden Stottern erwachte der Motor zum Leben.
    Ein Schauder aus Glück und Panik durchrieselte Wilbur. Er sah nach hinten, wo zwischen Zeitungen, zerknüllten Strafzetteln und einem schwarzen Hemd eine Flasche Whiskey auf dem Rücksitz lag. Der Motor klang, als würde
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