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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Wenn er am Abend die Herde ins Gatter treibt, humpelt er noch ein wenig, aber den Schafen ist das egal.
    Auf Colms Wiese stehen drei Pferde. Von meinem Schlafzimmerfenster aus kann ich sie sehen. Wenn schönes Wetter ist, reiten Sean und Kieran auf ihnen. Sie sind Könige. Sie drehen Kreise, gemächlich und endlos wie Planeten auf ihrer Bahn. Mein Vater sieht ihnen staunend zu. Manchmal ruft er ein Wort. Polly. So heißt seine Freundin. Sie ist sieben Jahre alt, ein weißes Tinker-Pony, ein Zigeunerpferdchen mit braunen Flecken. Wenn ihr langweilig ist, stößt sie ihn mit der Nase an, aber es wird noch eine Weile dauern, bis er auf ihr reiten kann. Er ist noch nicht so weit. Er weiß nicht, wer ich bin. Trotzdem freut er sich jeden Morgen, mich zu sehen. Er kann sich selber anziehen, selber zur Toilette gehen, er nimmt Bäder und macht sich in der Küche Brote. Vor ein paar Tagen habe ich in Letterkenny ein Cello gekauft. Es ist zerkratzt, und ich musste alle Saiten auswechseln, aber es klingt wie ein Cello. Als ich meinem Vater darauf vorgespielt habe, ungelenk und kaum einen Ton sauber treffend, schien etwas in ihm, das lange in Dunkelheit lag, zu erwachen. Ich hatte Angst, er könnte vergessen zu atmen, so hingebungsvoll lauschte er meiner unsicheren Melodie. Sein Körper entspannte sich und seine Züge wurden weich, und als er weinte am Schluss, weinte ich auch. Irgendwann wird er sich an mich erinnern, und vielleicht wird er mich erkennen.
    Im Herbst werde ich zu Norma Kennedy nach Dover fahren und das Cello holen, das Matthew mir hinterlassen hat. Fiona lernt, auf dem billigen aus Letterkenny zu spielen, aber auf meinem ehemaligen Übungsinstrument wird sie viel besser sein. Vielleicht spielen wir eines Tages im Duett. Fiona geht in dieselbe Schule wie ich damals, nur Schwimmunterricht hat sie keinen. Taggarts Tempel ist vor zwei Jahren eingestürzt, an einem Sonntag, dem Tag des Herrn. Die Dachkonstruktionhat dem Gewicht der Wassertanks nicht mehr standgehalten. Es hatte eine Untersuchung gegeben, Schuldige waren gesucht, gefunden und, weil der Einsturz keine Opfer gefordert hatte, freigesprochen worden. Fintan Taggart, heißt es, sei zurück nach Neuseeland gegangen. Was mich betrifft, ist das gerade weit genug weg.
    Conor schickt jeden Monat einen Brief. Sie kommen aus Halifax und Shanghai und Buenos Aires. Die Frachtschiffe, auf denen er fährt, heißen Mauretania , Princess of Cairo , Excalibur , San Cristobal . Er schreibt von Stürmen und Elmsfeuern, von Walen und fliegenden Fischen, von Sternen und Tätowierungen und einem Mädchen in jedem Hafen. In einem Brief berichtet er von einem Landgang in Yokohama, wo die Leute so kleingewachsen seien, dass ich überhaupt nicht auffallen würde.
    In den zwei Jahren, die wir jetzt hier sind, bin ich fast drei Zentimeter gewachsen. Nicht, dass das wichtig wäre. Es ist nur schön zu wissen, dass ich nicht schrumpfe, das hat Zeit.
     
    Aimee treibt auf dem Rücken, die Sonne im Gesicht. Sie trägt den Anhänger mit der Sonne und dem Mond. Winston hat ihn mir in den Seesack geschmuggelt, den ich bei ihm gekauft habe. Ich paddle auf Aimee zu, auf ihr Lachen. Die Zeit dehnt sich mit dem Himmel. Möwen fliegen.
    Ich schwimme wie ein Hund, eher schlechter.
    Aber ich schwimme.
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