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Mord Nach Maß

Mord Nach Maß

Titel: Mord Nach Maß
Autoren: Agatha Christie
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    J edes Ende ist ein neuer Anfang – wie oft hört man die Leute das sagen. Es klingt nicht schlecht, aber was heißt es schon?
    Wann gäbe es denn je einen festen Punkt, auf den man nachträglich den Finger legen könnte und sagen: »Da hat alles begonnen – um soundsoviel Uhr, an dem und dem Platz, mit diesem bestimmten Ereignis?«
    Begann meine Geschichte vielleicht in dem Moment, als mein Blick auf den Aushang am George fiel? Auf den Aushang, der die Versteigerung jenes ansehnlichen Besitzes namens The Towers ankündigte und alle Einzelheiten wie Ausdehnung, Länge und Breite brachte, nebst einer höchst euphorischen Beschreibung des Anwesens – einem Porträt von The Towers, wie es vielleicht für seine Glanzzeit vor mindestens achtzig bis hundert Jahren zugetroffen haben mochte?
    Ich hatte weiter nichts vor, schlenderte ziellos durch die Hauptstraße von Kingston Bishop und schlug die Zeit tot. Da fiel mir das Plakat auf. War’s ein Glückstreffer? Oder eine Falle des Schicksals? Ganz wie man’s nimmt.
    Andererseits könnte man auch behaupten, dass es damals begann, als ich Santonix traf, irgendwann während unserer langen Gespräche. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich ihn wieder vor mir: die roten Flecken auf den Wangen, die fiebrig glänzenden Augen, die Bewegungen der kräftigen, aber zartgliedrigen Hand, wie sie Baupläne und Aufrisse von Häusern aufs Papier wirft, ausarbeitet – besonders von einem ganz bestimmten Haus, wie es schöner und begehrenswerter keines gab.
    Damals regte sich zum ersten Mal das Verlangen nach einem Haus in mir, einem klassisch schönen Haus, das zu besitzen ich niemals hoffen durfte. Es war unser beider Wunschtraum, dieses Haus, das Santonix für mich bauen würde – wenn er noch dazu kam… Im Geiste wohnte ich in diesem Haus bereits mit meiner großen Liebe, lebte hier wie im Märchen. Es waren natürlich alles alberne Fantastereien, aber sie ließen in mir diese blinde, aussichtslose Sehnsucht keimen.
    Oder, wenn man es als Liebesgeschichte sehen will – und es ist die Geschichte meiner Liebe, bei Gott –, warum sollte sie dann nicht damit beginnen, wie ich Ellie unter den dunklen Fichten von Gipsy’s Acre stehen sah? Gipsy’s Acre – Zigeuneranger.
    Ja, vielleicht mache ich den Anfang am besten da, beginne mit dem Augenblick, als ich mich von dem Aushang am Schwarzen Brett abwandte – fröstelnd, weil die Sonne hinter Wolken verschwunden war – und beiläufig einen Mann fragte, der neben mir seine Hecke stutzte: » The Towers, was ist das für ein Haus?«
    Ich sehe immer noch die seltsame Miene des Alten vor mir, als er mich von der Seite anschielte und sagte: »So nennt das hier kein Mensch nich. Was’n das schon für’n komischer Name?« Er schniefte missbilligend. »Is ’ne Ewigkeit her, dass da Leute drin gewohnt haben und The Towers dazu sagten.«
    Da fragte ich ihn, wie er das Haus denn nenne, und wieder wandten sich die Augen in dem alten Runzelgesicht von mir ab. »Hier am Ort heißt’s Gipsy’s Acre.«
    »Warum denn das?«
    »Is so ’ne Art Sage. Genau weiß ich’s auch nich. Einer sagt so, der andere so.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Jedenfalls isses dort, wo immer die Unfälle passieren.«
    »Verkehrsunfälle?«
    »Alle möglichen Unfälle. Heutzutage freilich meistens mit ’nem Auto. Is nämlich ’ne gefährliche Ecke, da draußen.«
    »Na ja«, meinte ich, »in einer scharfen Kurve kann man leicht verunglücken, das ist klar.«
    »Der Landrat hat ’n Warnschild aufstellen lassen, aber geholfen hat’s auch nicht. Es kracht so und so.«
    »Woher kommt der Name?«
    »Von irgend so ’nem Gerede. Das Land soll früher mal Zigeunern gehört haben, aber sie sind fortgejagt worden und haben’s verflucht.«
    Ich musste lachen.
    »Ja, ja, lachen Sie nur«, knurrte er. »Ihr Schlaumeier aus der Stadt habt ja keine Ahnung von so was, aber ’s gibt manche Stelle, die is verhext, und das is so eine, Ehrenwort. Schon im Steinbruch, beim Bau, sind die Leute zu Tode gekommen. Der alte Geordie, der is nachts übern Rand gekippt und hat sich’n Hals gebrochen.«
    »Weil er betrunken war?«
    »Kann schon sein. Der hat gern tief ins Glas geschaut. Aber jeder Suffkopp fällt mal hin, und nich zu sanft, und doch schadet er sich nich fürs Leben. Bloß Geordie hat sich gleich’n Hals gebrochen. Dort drüben«, er deutete über seine Schulter nach dem kiefernbestandenen Hügel, »auf Gipsy’s Acre.«
    Doch, ja, so hat es wohl angefangen.
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