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Nach dem Ende

Nach dem Ende

Titel: Nach dem Ende
Autoren: Alden Bell
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Kriecherland bis runter zu den Florida Keys.
    Sie spürt, wie sich sein Blick unter ihre Kleider schiebt und gegen ihre Haut drängt.
    Also, dann erzähl mal, Sarah Mary. Bist du deinem Freund davongerannt? Suchst du jemanden, der auf dich aufpasst? Kannst ganz offen zu mir sein – bei mir bist du gut aufgehoben.
    Sie beißt sich auf die Innenseite der Unterlippe, um still zu bleiben, und trabt nach vorn zu Louis, der anscheinend der Anführer ist.
    Wohin gehen wir überhaupt?
    Schau selbst, antwortet er.
    Über ihr ragen vier identische Türme auf, die jeweils einen ganzen Straßenblock einnehmen. Im Erdgeschoss gibt es Läden und in den anderen Etagen wahrscheinlich Büros. Ungefähr fünf Stockwerke über dem Boden sind die Gebäude durch abgeschlossene Übergänge miteinander verbunden und bilden somit einen wuchtigen inselartigen Komplex. In so einer Anlage könnte man locker tausend Menschen unterbringen.
    Louis marschiert voran zu einer Gasse hinter einem der Blöcke, wo sich der Asphalt zu einer Laderampe absenkt. Sie nähern sich einer kleinen Tür neben dem Stahltor und sehen sich nochmal um, um sich zu vergewissern, dass ihnen keine Schaben folgen. Dann sperrt Louis schnell auf und winkt alle hinein.
    Is das eure Festung?, fragt Temple.
    Als alle drinnen sind, macht er die Tür zu, schließt ab und legt den Riegel vor.
    Das ist unsere Festung.
    Sie wird an eine Frau namens Ruby weitergereicht, die ihr was zu essen und Klamotten aus dem verbarrikadierten Kaufhaus im Erdgeschoss gibt und ihr im fünfzehnten Stock einen Schlafplatz zeigt, wo die Büros zu Wohnungen umgestaltet worden sind.
    Ruby will ihr ein himmelblaues Baumwollkleid aufdrängen, aber Temple besteht auf einer Cargohose wie der, die sie anhat, nur dass sie nicht zerrissen und mit getrocknetem, braunem Blut besudelt ist. Als Temple ihr die alte Hose aus der Garderobe reicht, schüttelt Ruby den Kopf und schnalzt mit der Zunge wie eine Art Wüstenvogel.
    Du armes Ding, seufzt Ruby. Es war bestimmt ein schwerer Weg für dich, bis du hierhergekommen bist.
    Der Weg war in Ordnung, antwortet Temple. Das Problem waren die Fleischsäcke.
    Ach diese Welt …
    Anscheinend hätte Ruby noch einiges zu diesem Thema zu sagen, aber sie verstummt, als hätte die Verzweiflung sie überwältigt.
    Hey, ihr habt doch Eis hier, oder? Ich finde, eine große Eiscola wäre jetzt genau das Richtige.
    Also bringt ihr Ruby ein Glas Cola mit Eis, und sie fahren zu zweit hinunter in eine der Eingangshallen, um den Kindern beim Sp ielen zuzuschauen. Aus einem der Warenhäuser haben sie eine Schaukel und eine Plastikrutsche herübergeschleppt, und auf den Boden sind mit Kreide Himmel-und-Hölle-Quadrate gemalt.
    Wir haben auch eine Schule, erklärt Ruby. Meine Schwester Elaine ist die Leiterin. Sechs Tage pro Woche Unterricht. Die Kinder müssen was lernen, das ist das Wichtigste. Damit wir alles wieder aufbauen können, wenn es vorbei ist. Hast du eine Schule besucht?
    Ein paar Sachen hab ich gelernt.
    Ich war eine junge Frau, als das alles angefangen hat. Du warst damals wahrscheinlich noch nicht mal geboren.
    Nein.
    Bestimmt kommt dir diese Welt seltsam vor.
    Nein, tut sie nich.
    Nein?
    Die Welt behandelt dich einigermaßen freundlich, solang du nicht dagegen ankämpfst.
    Ruby mustert Temple und schüttelt seufzend den Kopf. Sie ist eine mollige Frau, mit einem rundlichen Gesicht und Augen, die an den Seiten Falten bilden, wenn sie lacht. Eine Frisur wie ihre hat Temple noch nie gesehen. Die meisten Haare sind oben aufgetürmt, aber ein Teil hängt herunter. Sie trägt ein langes, unförmiges Kleid und Sandalen, und ihre Finger- und Zehennägel sind in einem hübschen Burgunderrot bemalt – genau die gleiche Farbe, schießt es Temple durch den Kopf, wie vergossenes Blut, wenn es ungefähr zwanzig Minuten alt ist.
    Der Lärm der spielenden Kinder hallt von den marmornen Wänden der Eingangshalle wider. Es sind zwanzig, in verschiedenen Altersstufen. Die Fenster sind übermalt, damit sich nicht draußen die Schaben zusammenrotten – das vermutet Temple zumindest. Um die Halle herum sind große, helle Scheinwerfer aufgestellt, um das schwache Sonnenlicht zu unterstützen, das durch die dünne Schicht schlieriger brauner Farbe dringt.
    Sie denkt an Malcolm und stellt ihn sich hier zwischen den Kindern vor. Bestimmt hätte er rausgehen wollen – er hätte die Farbe von den Scheiben gekratzt, um hinauszuspähen. Aber das war vor zwei Jahren. Inzwischen wäre er schon
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