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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Nachbardorf geschickt hatten. Bei meiner Ankunft am Berliner Bahnhof Zoo habe ich mich dann allerdings trotzdem ein wenig vor den vielen Menschen erschrocken. Doch als ich am Ostkreuz aus der Straßenbahn stieg, empfing mich strahlender Sonnenschein. In einem vierstöckigen Altbau am Boxhagener Platz sollte ich meine ersten Berliner Jahre verbringen. An die Hauswand hatte jemand eine Botschaft für mich gesprüht. Als ich sie las, wusste ich: Hier bin ich richtig. In krakeligen blauen Buchstaben stand dort: «Ice-T rules.»
    Endlich war ich der Provinz entflohen. Ich lernte, Kohlen zu schleppen, neben dem Studium zu arbeiten, auf Dächern zu übernachten, aufdringlichen Männern zu erklären, dass ich Frauen liebe, und aufdringlichen Frauen zu erklären, dass ich noch nicht bereit sei, mich zu binden. Ich liebte nur Berlin. Die Bars konnten so kryptische Namen wie «Ick weeß ooch nich» tragen, und die Zigaretten kosteten bei Vietnamesen bloß die Hälfte des Ladenpreises. Ich gewöhnte mich an die verstrahlten Obdachlosen in der S-Bahn («Mein Name ist Ratte, ich lebe seit zehn Jahren auf der Straße und verkaufe die aktuelle Ausgabe der Obdachlosenzeitung … der … wie heißt die noch?»), gewöhnte mich an die Raver aus dem Umland, die bei Sonnenaufgang im Herrenrock über die Warschauer Brücke flanierten («Ey, weiß du was für’n Tag heute is?»), selbst an die Pitbulls und ihre Herrchen («Der will nur spielen»). Und ich liebte es, so wie jetzt gerade, mitten in der Nacht auf den breiten Straßen spazieren zu gehen. Einer spontanen Gefühlsaufwallung folgend, springe ich über die Bordsteinkante – und lande in einem riesigen Hundehaufen.
    Ach Berlin! Du fehlst mir jetzt schon.
    Die Stufen zu meiner Einzimmerwohnung schleppe ich mich diesmal so langsam hinauf, wie selbst mit prallgefüllten Einkaufstüten nie zuvor. Kaiserreich, Weimarer Republik, Hitlerzeit, SBZ und DDR haben ihre Spuren hinterlassen. Die Treppe ist völlig krumm gelaufen, vom Geländer blättert moosgrüner Lack. Unten an der Wand hängt ein verwittertes Schild aus der Nachkriegszeit. Darauf stehen in Sütterlinschrift die Namen früherer Mieter. Adieu, ihr -anskis und -owskis. Bald bekomme ich die -mosers und -hammers zu spüren.
    Ein letztes Mal schließe ich meine Tür auf. Die Wohnung ist sauber, das Bett gemacht, der Schrank geleert, der Schreibtisch glänzt. Ein ungewohnter Anblick.
    «Suche Untermieter für ein Jahr in ruhiger 1-Zimmer-Wohnung am Boxhagener Platz» hatte ich der Mitwohnzentrale geschrieben. Innerhalb einer Woche meldeten sich zwanzig Interessenten. Alle wollen nach Berlin. Am Montag wird mein Untermieter einziehen, ein netter Dicker aus Köln, der sich ein Jahr Auszeit nimmt. Danach bin ich spätestens wieder hier.
    Auch ich werde in München zur Untermiete wohnen. Über Bekannte von Kollegen habe ich eine möblierte Dachbodenwohnung in einem Stadtteil namens Daglfing gefunden. Die Vermieter, eine Familie Untermair, haben mir geschrieben, sie würden «den Knoll» schicken, der werde mich abholen und samt Gepäck nach Daglfing bringen. Keine Ahnung, wer der Knoll sein soll und wo München Daglfing liegt. Aber das werde ich noch früh genug erfahren.
    8 : 00 UHR
    Ich rufe bei Jochen an. Freizeichen, dann seine Stimme: «Bin gleich da, alles super, keine Panik, kannst schon mal runterkommen.»
    «Ich bin schon seit einer halben Stunde unten», schreie ich. «Weißt du, wie spät es ist?»
    «Klar», sagt Jochen und legt auf.
    8 : 10 UHR
    Mit quietschenden Reifen biegt der magensaftgrüne Bulli um die Ecke. Auf dem Beifahrersitz winkt das Punkrockgirlie mit den roten Zöpfchen. Jochen sieht verquollen aus. Er ist blass, trägt die Klamotten von gestern und riecht nach Rauch und Schnaps. «Keine Zeit», brüllt er, seine Lider flattern. Er packt meinen Koffer und den Seesack, wirft beides hinten in den Bulli, sprintet ums Auto. Ich steige auf der anderen Seite ein. «Es gab da ein Problem …»
    «Ein Problem?»
    «Na ja, wir haben Tequila Suicide gemacht, aber irgendwann gab es nur noch den braunen mit Orangen und Zimt!»
    Punkrockgirlie erklärt: «Der Zimt hat sich bei ihm in der Stirnhöhle festgesetzt. Da mussten wir noch zur Notaufnahme fahren.»
    Erst jetzt sehe ich, dass Jochen tamponartige Wattestöpsel in der Nase hat. «Stirnhöhlenverzimtung», murmele ich. «Mal was anderes.»
    «Keine Angst, mir geht’s super!», brüllt Jochen und tritt aufs Gas. «Ich bin tierisch wach!»
    8 : 50 UHR
    Ankunft am
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