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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Sebastian Glubrecht
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anschließend die schönheitschirurgische Praxis von Papa zu übernehmen. Dort schrauben Vater und Sohn dann gemeinsam an den Münchnerinnen herum. Vor denen graut es mir ohnehin am meisten. Die Münchner Frauen laufen alle rum wie Topmodels. Sie sehen zwar nicht so aus, aber sie benehmen sich so, küssen zur Begrüßung zweimal die Luft über der Schulter ihres Gegenübers und lieben Geld mehr als Charakter.
    «Ich habe nachgedacht», sagt Jochen. «Dein Wegzug von Berlin hat auch etwas Gutes: Du hast keine Schwaben mehr um dich. Ich habe gehört, dass sich Schwaben und Bayern nicht mögen. Deshalb ziehen die Stuttgarter doch alle nach Berlin.» Er seufzt. «Weißt du, irgendwie beneide ich dich.»
    Ich seufze auch.
    «Jetzt mach dich mal locker!» Jochen haut mir auf die Schulter. «Was hältst du denn von der Kleinen?» Er deutet auf die junge Frau mit den knallrot gefärbten Zöpfen. «Hmpf», antworte ich. «Ganz meine Meinung», erwidert Jochen und lässt mich wieder allein mit meinem Gin Tonic.
    Ich beobachte die beiden: Sie machen sich keinen Kopf um die Zukunft, sie brauchen keinen Job und sind in Berlin genau richtig. Jochen sagt etwas, Punkrockgirlie lacht. Dann sagt sie etwas, und er lacht. Jetzt beeindruckt er sie bestimmt gerade mit Trinkerfolklore à la Tequila Suicide : Anstatt das Salz vom Handrücken zu lecken, zieht man es in die Nase, träufelt sich den Zitronensaft ins Auge und kippt dann den Tequila auf ex. So etwas macht Eindruck in Bars.
    Ich bin hier überflüssig. Also beschließe ich, mich zu verabschieden, und gehe zu den beiden an die Theke. «Wie, das kennst du?», fragt Jochen gerade erstaunt. «Ja klar», antwortet Punkrockgirlie. «Meinen ersten Tequila Suicide habe ich vor einem Jahr getrunken. Mit dir.»
    Jochens Augen flackern. Offenbar hat sie ihn aus dem Konzept gebracht. Das ist meine Chance. «Alter, ich glaube, ich mach die Biege.»
    Er protestiert: «Aber das ist dein letzter Abend, wir müssen doch noch Abschied feiern.»
    «Feiert einfach für mich mit, okay?»
    «Soll ich dich morgen früh zum Flughafen fahren?», fragt er.
    «Mein Flieger geht um neun, das heißt, du solltest spätestens um halb acht vor meiner Haustür stehen.»
    «Kannst es wohl gar nicht abwarten, nach München zu kommen, was?» Wieder sagt er den Ortsnamen extra laut.
    «Der Flug war ein Sonderangebot.»
    «Du bist auch so ein Sonderangebot», murmelt Jochen. «Also morgen früh, halb neun.»
    «Nein, halb acht.»
    «Jaja, ist gebongt.»
    Wir nehmen uns in den Arm. Jochen drückt mich so fest, dass mir die Luft wegbleibt. Als er mich losgelassen hat, gehe ich, ohne noch ein Wort zu sagen. Wie ein Held, der Frau und Kind zurücklässt.
    Draußen riecht es nach ausländischen Spezialitäten, deutschem Bier und Menschen aus aller Welt. Und nach Hund. Das ist die Berliner Luft. Wonach wird es wohl in München riechen? Wahrscheinlich nach dem Schweiß redlicher Arbeit, den Auspuffgasen dicker Autos und dem Gestank des Geldes. Melancholisch, aber subversiv gestimmt, mache ich mich auf den Weg nach Hause.
    Sieben Jahre habe ich in Berlin-Friedrichshain gelebt, den Stadtteil bei seiner Wandlung vom Hausbesetzerkiez zum Touristenviertel begleitet. Ursprünglich komme ich, wie jeder anständige Berliner, von auswärts. Mein Heimatdorf heißt Tiefenwald, und der Name ist nur allzu berechtigt. Eine Stunde fuhr man mit dem Auto in die nächste größere Stadt und war dann auch noch in Hannover.
    Ich hatte kein Auto. Daher blieb ich im Dorf. Als meine Pubertät begann, verzog ich mich mit einem Haufen Bücher und Anschauungsmaterialien auf mein Zimmer, kam zwei Jahre später wieder herunter, hatte alle Bücher durchgelesen und war mit der Pubertät fertig. Danach interessierte ich mich für Hip-Hop und sprühte vor lauter überschüssiger Ausdrucksfreude «Ice-T» an die Rückwand des örtlichen Tennisclubhauses. Der Dorfpolizist, ehrenamtlicher Trainer der Damentennismannschaft, erwischte mich wenige Tage später – ich war der einzige Halbwüchsige im Dorf mit weiten Hosen und einem Ice-T -Schriftzug am Rucksack.
    Zur Strafe musste ich zwei Wochenenden hintereinander sein Auto waschen und der Damentennismannschaft seichte Aufschläge servieren.
    Der Schützen-und Fußballverein, wo die meisten Jungs ihre Freizeit mit Komasaufen verbrachten, reizte mich intellektuell überhaupt nicht. Trotzdem ließ mich die Dorfjugend in Ruhe, weil mich meine Eltern in weiser Voraussicht schon früh zum Karatetraining ins
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