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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Sebastian Glubrecht
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UNTER HEITEREM HIMMEL
    E in Ruck geht durch die Seilbahn, und mit einem Mal hänge ich in der Luft. Genau wie die anderen Gondelfahrer. Über uns strahlt der weiß-blaue Himmel, die Sonne lacht. Mir ist nicht nach Lachen zumute, denn ich habe Höhenangst.
    Ein stählernes Knarren, die Kabine zittert und zuckelt noch ein Stückchen bergab, stockt, fährt doch lieber wieder bergauf und bleibt schließlich stehen. Jetzt schunkelt sie bloß noch ein wenig nach links und rechts.
    Ich will ja keine Panik verbreiten, aber wahrscheinlich werden wir alle sterben. Horrorvisionen von Kampfjets, die Gondeln in die Tiefe reißen, von betrunkenen Liftwärtern und veralteten Zugseilen schießen mir durch den Kopf. Wäre ich bloß in Berlin geblieben! Bis vor kurzem noch hätte ich darauf getippt, dass es mich dort eines Tages in einem illegalen Club erwischen würde, der die Belüftungsregeln missachtet. Oder an einer Dönerbude, beim Gammelfleisch-Grillteller. Auf jeden Fall nicht hier und auch noch nicht jetzt. Nicht auf dem Rückweg vom «5. Weisenbläser-und Tanzmusikantentreffen im Allgäu».
    Aber in letzter Zeit läuft sowieso alles anders als geplant.
    «Wahrscheinlich is der Liftwärter bieseln gangen», scherzt einer der Mitreisenden. «Oder zum Après-Ski», kontert ein anderer. Jemand furzt laut. «Tschuidigung, des hätt a Schleicher wern soin.» Gelächter. «A varreck, den konnst sogar schmecka!», schimpft ein Wandersmann neben mir. Hyänenlachen.
    Da in diesem Moment leider nicht mein Leben vor meinem inneren Auge vorbeizieht, muss ich mich anderweitig ablenken. Ich versuche mir vorzustellen, ich säße am Sonntagnachmittag mit meinen Kumpels in Berlin auf dem Boxhagener Platz, schaute dem Treiben auf dem Flohmarkt zu und genösse das süße Nichtstun. Denkste. Ständig rempelt mich jemand an, die Passagiere stehen Schulter an Schulter und schwitzen sich in der Hitze dieses sommerlichen Nachmittags gegenseitig nass: Senioren, Männer und Frauen in ihren so genannten besten Jahren, dazwischen ein paar Kinder, Trachtler – und ich. Hier ist kein Platz zum Träumen.
    Um 17 : 00 Uhr hat die Gondel die Bergstation an der Rammsklammwand verlassen. Angeblich war dies die letzte Fahrt nach unten. Knoll ist einfach oben geblieben. «Runter kimmst immer», hat er gebrummt und darauf bestanden, in Ruhe sein Bier auszutrinken. Dieser halbe Liter St. Blasius dunkel hat ihm jetzt das Leben gerettet. Ein Prosit der Gemütlichkeit. Nur ich Idiot musste mal wieder pünktlich ganz vorn in der Schlange stehen. Roni habe ich aus den Augen verloren, als das Gedränge losging.
    Mit einem Mal beginnen zwei Frauen in identischen Dirndln zu singen. Von den «feschen Buam» aus ihrem Dorf, die «hohe Strümpf» tragen und «am Hütel das Edelweiß». Die beiden halten die Augen geschlossen – sie singen sich Mut an. Zwischen den Strophen jodeln sie. Wahrscheinlich die traditionelle Art, ein Notsignal ins Tal oder gen Himmel zu senden.
    Einige Mitreisende wippen im Takt. Die Gondel schaukelt heftiger. «Is des ned schee, wenn oana so in da Musi versinkn ko?», fragt mich ein Wandersmann und schaut die Sängerinnen verzückt an. Ja, es ist schön. Es ist so schön in Bayern. Und ich kann nicht aufhören, mich zu fragen: Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?

ABSCHIED NEHMA IS NED LEICHT, ABA DES PASST SCHO
    A uf dem Weg zum Klo dreht sich Jochen noch einmal um: «Zieh ruhig nach München», ruft er. «Du kommst ja doch wieder zurück.» Mit einem Schlag verstummen die Gespräche in der Bar. Die Gäste, der DJ, der Barkeeper – alle halten inne und starren mich durch die verrauchte Luft an. Entrüstung, Verachtung, grenzenloses Unverständnis. Wahrscheinlich hätte ich selber so geschaut, wenn ich mitbekommen hätte, dass jemand unter dreißig aus Berlin, der aufregendsten Stadt der Welt oder – na gut – Deutschlands, ausgerechnet nach München ziehen will. Armer Trottel!, hätte ich gedacht. Wahrscheinlich sogar laut. Stattdessen verhalte ich mich möglichst unauffällig: Denn besagter Trottel bin in diesem Fall leider ich.
    Der Barkeeper legt den Caipirinha-Stößel beiseite und kommt langsam auf mich zu. Er sieht ausnahmsweise nicht nur fertig, sondern auch traurig aus. Kein Wunder, in den vergangenen Jahren habe ich hier mehrere tausend Euro gelassen. Ich senke den Blick. «Ich hatte keine andere Wahl», flüstere ich pathetischer, als mir lieb ist. Der Barmann seufzt, schüttelt den Kopf und greift nach unserer Spezialflasche:
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