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Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Na Servus! Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Sebastian Glubrecht
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Doppelkorn. Er holt zwei Schnapsgläser aus dem Regal und schenkt uns beiden je einen Doppelten ein. Wortlos prosten wir uns zu, trinken in einem Zug und knallen die Gläser auf den Tresen. Er schaut mir tief in die Augen: «An dieser Theke wird immer ein Platz für dich frei sein.» Es tut gut, das zu wissen.
    Ich schaue mich um: Der Laden ist mal wieder gerammelt voll, keiner der Gäste wirkt älter als dreißig Jahre. Die meisten tragen weite Hosen, kaum ein Gesicht ohne Ziegenbart oder struppige Koteletten (gilt natürlich nur für die Männer). Auf dem Kopf haben sie entweder sehr lange oder sehr kurze Haare; viele zeigen ihr bunttätowiertes Fleisch. Diese Individualisten sehen doch alle gleich aus. Egal, hier fühle ich mich wohl.
    Ich möchte jetzt nicht wie ein Lokalpatriot klingen, schließlich bin ich selbst erst 1997 in die Hauptstadt gezogen, aber wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, antworte ich, ohne zu zögern: «Berlin!» Allerdings hat München etwas, das Berlin fehlt: Jobs.
    Jochen kehrt von der Toilette zurück. Er deutet auf sein leeres Glas und anschließend auf mich. Ich nicke. Also quetscht er sich zwischen die weiter vorn am Tresen Wartenden. Nebenbei spricht er ein Mädchen mit knallroten Zöpfchen an, eines dieser Berliner Punkrockgirlies. Sie schaut zuerst skeptisch, beginnt aber kurz darauf zu lächeln. Jochen grinst, er hat das Opfer dieses Abends gefunden.
    Ich kann mir schon denken, was er gerade gesagt hat. Neun Jahre lang haben wir gemeinsam jedes Wochenende getrunken und gebaggert, bis der Morgen graute. Jochens Lieblingsspruch geht so:
    Er: «Entschuldigung, bist du eigentlich haftpflichtversichert?»
    Sie: «Nein, warum?»
    Er: «Du hast gerade ’ne Beule in meine Hose gemacht.»
    Saublöd, aber man glaubt nicht, wie viele Frauen so etwas lustig finden. Ich erinnere mich aber auch an eine sehr schöne Lachen-Nachdenken-Ohrfeigen-Kombination, die nichtsdestotrotz in eine dreiwöchige Affäre mündete.
    Mitte der Neunziger kam Jochen aus einem Kaff in Mecklenburg zum Studium hierher, doch schon nach wenigen Semestern verlor er die Lust an den Rechtswissenschaften. Inzwischen schlägt er sich als Fahrradkurier durch und arbeitet manchmal auf dem Bau. Er ist 32 Jahre alt, lebt aber noch immer, als sei er 22. Manchmal beneide ich ihn um seine dauerjugendliche Unbekümmertheit. Ich dagegen ahne leider, dass die Party irgendwann vorbei ist.
    Im Gegensatz zu Jochen habe ich Publizistik bis zum bitteren Ende studiert und nebenbei angefangen, für ein paar Zeitungen zu schreiben. Aber von dem spärlichen Zeilenhonorar konnte ich selbst im «billjen Balin» nicht leben. Dann hat mir eine Zeitung eine Schwangerschaftsvertretung angeboten, befristet auf ein Jahr – in München. Also werde ich ins Feindesland Bayern gehen, während mein bester Freund hier die Stellung hält. Arbeiten könne er auch, wenn er tot ist, sagt er.
    Ein Schlag auf die Theke reißt mich aus meinen Gedanken. Jochen ist wieder da und hat einen Gin Tonic mitgebracht. «Was zuckste denn so?», fragt er. «Schlechtes Gewissen?» Er hebt sein Glas: «Eins. Zwei. Gsuffa.» Ich bringe nur ein gequältes Lächeln zustande. «Wart mal ab, in einem Jahr haben die dir eine Gehirnwäsche verpasst, und du bist assimiliert. Das geht so schnell, das merkst du gar nicht.»
    «Jochen, wenn ich nächstes Jahr nicht freiwillig zurückkomme, musst du nach München runterfahren, mir einen Sack überstülpen und mich heimholen.»
    «Jaja, und dann nölst du die ganze Zeit herum, du willst wieder zurück zu deinen BMWs und Biergärten.»
    «Ich meine es ernst.»
    «Dann brauche ich das schriftlich.»
    Vom Barkeeper lässt sich Jochen ein einigermaßen sauberes Stück Papier geben und kritzelt los. Ganz oben notiert er das Wort «Vollmacht». Der Text klingt angemessen offiziell, anscheinend hat das Jurastudium doch etwas gebracht. In dem Schreiben überlasse ich Jochen alle Rechte an meiner Person, falls ich nach Ablauf eines Jahres noch in München wohnhaft bin. Er hat mich dann – ggf. unter Gewaltanwendung – nach Berlin zu entführen, wo ich hingehöre, und – unter Gewaltanwendung – dafür zu sorgen, dass ich wieder zur Vernunft komme. Nachdem wir beide unterzeichnet haben, fühle ich mich etwas besser.
    Es ist ja nur zur Sicherheit. Ich weiß doch längst, was für ein Volk mich in München erwartet: Die Männer tragen zurückgegelte Haare, fahren Cabrio, spielen Golf; reiche Söhne, die zuerst zur Bundeswehr gehen, um
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