Mythor - 084 - Stadt der Amazonen

sahen sich die drei Amazonen an. Sosona war also nicht zurückgekehrt. Sie hatte ihren Auftrag, Mythor nach Burg Anakrom zu bringen, nicht ausgeführt und ihn statt dessen in den Traumpalast gebracht. Sie ging eigene Wege.
    »Wenn ich nur wüßte, warum sie das tut! Sie muß närrisch sein!« stöhnte Gorma auf.
    »Ich bin dafür, daß wir noch in dieser Nacht in den Traumpalast eindringen«, beharrte Gudun. »Wir können es schaffen. Niemand rechnet damit. Wir müssen Mythor zurückbekommen - und die Hexe! Wir drei und zehn Kriegerinnen! Einverstanden?«
    Tertish zögerte und wechselte einen fragenden Blick mit Gorma. Die nickte nur.
    »Einverstanden«, sagte Tertish da.
    »Was machen wir mit Mythors Gefährten? Sie wissen jetzt um das Geheimnis.«
    »Ich bin dagegen, sie zu töten«, sagte Gudun. »Sie sind gute und ehrenvolle Kämpferinnen, und der Drache… hm, er ist ein lustiger Gesell. Wir sollten sie vorläufig nur festsetzen. Solange sie an Bord der Sturmbrecher bleiben, können sie nichts ausplaudern.«
    »Und unsere Kriegerinnen?«
    »Werden sich hüten, etwas zu erzählen. Sie würden sich der Mitwisserschaft schuldig machen. Niemand an Bord der Sturmbrecher wird Burra verraten.«
    »Außer Sosona…«, murmelte Gorma.
*
    Irgendwann kamen sie wieder und hüllten Mythor erneut in eine große Decke. Er war froh, in magischer Starre zu liegen; so hatte er keine Sorge, unter der Decke zu ersticken. Hände griffen nach ihm, trugen ihn wieder. Wohin es ging, konnte er nicht einmal ahnen. Aber er begriff, daß er für die Traumverlorenen wertlos war. Er wurde fortgeschafft, nach irgendwo.
    Irgendwann hallten die Schritte nicht mehr; sie befanden sich im Freien. Schleichende Bewegungen… man sollte nicht sehen, daß da eine menschliche Gestalt verhüllt transportiert wurde. Warum die Geheimhaltung? fragte er sich. Spielte Burra ein eigenes Spiel? Sie mußte sich in diesem Punkt gegen ihre Zaubermutter gestellt haben. Nach Zaems Willen mußte er jetzt tot sein. Daß Learges für ihn gestorben war, konnten nur Burra, die beiden Tritonen, die ihn zum Schiff geschafft haben, und die Hexe und die drei Vertrauten Burras wissen. Wenn sie sprachen, ging es ihnen allen an den Kragen - und auch Mythor.
    Er selbst mußte also auch zusehen, daß sein Weiterleben vorerst unbekannt war.
    Aber wohin bringen sie mich? schrien seine Gedanken. Wohin - und warum?

8.
    Als die Dunkelheit hereinbrach, verließen zum Kampf gerüstete Amazonen das große Schiff. Das Licht der Sterne und der Öllampen an den Piers und Straßen ließ die Rüstungen schimmern. Leise klirrte Metall. Burras Vertraute und zehn weitere Kriegerinnen huschten durch die Straße. Eine breite Straße führte auf direktem Weg vom Hafen zum Tempel.
    »Wir lassen uns durch nichts aufhalten«, hatte Tertish ihnen allen eingeschärft, als sie die Sturmbrecher verließen. Genügend Amazonen waren an Bord zurückgeblieben, um einen Ausbruch der drei Gefangenen zu verhindern. Tertish hatte eine rigorose Ausgangsperre für diese Nacht verfügt; es war für sie und die kleine Kampfgruppe beruhigend, die geballte Macht der Kriegerinnen des Schiffes hinter sich zu wissen, falls etwas schiefging. Nie zuvor war der Traumpalast mit Waffengewalt erstürmt worden. Man konnte nicht wissen, wie die Spayolerinnen darauf reagieren würden.
    Vielleicht aber ging alles ganz schnell über die, Bühne… vielleicht gab es keine Schwierigkeiten…
    Sie eilten über die Straße, nicht als geschlossene Gruppe, sondern verstreut, jeweils zu zwei oder drei Kriegerinnen. So fielen sie weniger auf, denn um diese Nachtzeit herrschte auch hier noch Hochbetrieb. Eine Reihe von Tavernen befand sich an der Straße, und hier und da boten Spayolerinnen ihre Lustknaben feil. Doch den Amazonen Burras stand in dieser Nacht der Sinn nach anderen Dingen.
    Vor ihnen tauchte der Tempel auf, jenes flache Bauwerk mit dem Kuppeldach und den zwölf Türmen, der Anzahl der Zaubermütter gleich. Der Tempel stand auf einem großen, freien Platz. Am Ende der Straße gingen die Amazonen im Schatten der Häuser in Deckung und sammelten sich in der Finsternis.
    »Wächterinnen«, zischte Gudun.
    Auch die anderen sahen es. Der Traumpalast war von einer fünf Ellen hohen Mauer umgeben, auf der dicht beieinander stehende Eisenstäbe mit scharfen Spitzen steckten. Ein Zaun, der nicht zu übersteigen war.
    Zur Straße hin, die in den großen Platz mündete, befand sich ein großes Tor. Es war geschlossen, und vor ihm gingen