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Mystic

Mystic

Titel: Mystic
Autoren: Mark T. Sullivan
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die Hand zu der Gruppe ausgestreckt. Ein Vollmond hing über dem Kopfschmuck der Indianerin am Himmel.
    »Das ist ja was ganz Besonderes«, sagte Gallagher.
    »Der Albino hieß Caleb Danby«, antwortete Nightingale, als wiederholte sie eine oft erzählte Geschichte. »Er hat diese Hütte einfach vom Hause seines Bruders Joshua auf der anderen Seite der Stadt abgeschnitten, kurz vor der Jahrhundertwende. Die Danby-Brüder waren Medien, die Lawton in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einem spiritistischen Zentrum machten. Sie hielten Séancen ab, bei denen sich angeblich Geister materialisierten. Dann zerstritten sich die Brüder, die Gründe kennt keiner so richtig; Joshua Danby verschwand spurlos, und die Séancen hörten auf. Caleb brachte die Hütte hier an den Fluss herunter und wohnte ein Jahr darin, bevor er Selbstmord beging: Er stieß sich ein Schlachtermesser ins Herz.«
    »Sie scherzen, nicht wahr?«, fragte Gallagher und rieb sich die Brust.
    »In meinem Geschäft scherzt man nicht über solche Sachen«, entgegnete Nightingale kühl. Sie wandte sich um, als wollte sie gehen, und ihm wurde bewusst, dass er bald allein in der Hütte sein würde.
    »Sind Sie mit ihnen verwandt?«, fragte er, um sie noch ein wenig länger zum Bleiben zu bewegen. »Mit den Danbys, meine ich.«
    Sie schüttelte ihre rotbraune Mähne. »Der letzte Danby hat Lawton vor langer Zeit verlassen.«
    »Und die Indianerin?«
    Bei dieser Frage zögerte Nightingale, und ihr Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an. Sie sah aus dem Fenster und zum Waldrand auf der anderen Seite des Flusses hinüber. »Die Indianerin ist ein Rätsel.«
    Erstaunt über ihre plötzliche Ernsthaftigkeit fragte Gallagher: »Also wer spukt hier denn nun?«
    »Wie? Oh, Caleb, denke ich«, antwortete sie mit einer betont wegwerfenden Handbewegung. »Ich habe mich nie besonders um diese alte Geschichte gekümmert.«
    Sie beantwortete ihm noch ein paar weitere Fragen nach der Hütte und nach Einkaufsmöglichkeiten in der Stadt für Lebensmittel und Bettwäsche. Dann sagte sie, sie sei spät dran für ihre Schicht, und verabschiedete sich. Gallagher sah ihr nach, als sie davonfuhr, und wurde sich noch einmal bewusst, wie seltsam Andie Nightingales Gegenwart ihn berührt hatte. Sie war sehr schön. Wenn seine Reaktion rein hormonell gewesen war, auch gut. Er fühlte sich so gut wie seit langem nicht mehr.
    Doch während er Angelruten, Gepäck, Kameratasche und Computer auslud, sank seine Hochstimmung wieder. Als er schließlich alles im Haus verstaut und ein wenig aufgeräumt hatte, spürte er nur zu deutlich, wie ihm die Stille in der Hütte in den Ohren summte. Wie ein Junkie, der den nächsten Schuss braucht, starrte Gallagher aus dem Fenster und auf den Fluss, von dem er sich den rauschenden Lärm erhoffte, der die Stille übertönen könnte. Doch inzwischen hatte es wieder stark zu regnen begonnen. Der Bluekill River kochte förmlich über, viel zu gefährlich zum Fischen.
    Fast eine Stunde bevor ihn die totale Erschöpfung nach oben auf die kahle Matratze und unter einen Haufen staubiger Wolldecken zwang, saß Gallagher in einem Adirondack-Sessel auf der Veranda vor der Hütte, sah auf den vorbeifließenden Bluekill River und gab sich alle Mühe, nicht über die Scherben seines verpfuschten Lebens nachzugrübeln.

3
    Samstag, 10 . Mai
    Nach einem zehnstündigen unruhigen Schlaf erwachte Gallagher kurz nach Tagesanbruch bei den Klängen einer sanft geschlagenen Tanzrassel und dem fernen Dröhnen einer ledernen Trommel. Merkwürdigkeiten, die er als Überbleibsel eines schwindenden Traums beiseitezuschieben vermochte. Draußen heulte immer noch der Sturm. Der Radiosender von Lawton kündigte an, dass das Schlimmste gegen Mittag vorüber sein würde. Um die Zeit totzuschlagen, bevor er an den Fluss hinuntergehen konnte, fuhr Gallagher in die Stadt, frühstückte, kaufte Lebensmittel, Bettwäsche und Handtücher ein und rief dann im Pfarrbüro der St.-Edwards-Kirche an, um das Interview mit Monsignore McColl für Montagmorgen zu bestätigen.
    Um die Mittagszeit schwächte sich der Regen zu einem Nieseln ab. Gallagher knotete seine Watestiefel doppelt zu, streifte die Schutzmanschetten über die Hosenbeine, nahm seine Sechser-Angelrute mit der Rolle und eilte zum Bluekill River hinunter in dem Bemühen, den Ausbruch einer Migräne abzuwehren, die ihn schon den ganzen Morgen über bedroht hatte; als könnte das hypnotische Pulsieren des rauschenden
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