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Mystic

Mystic

Titel: Mystic
Autoren: Mark T. Sullivan
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sangen und trugen violette Blumen in den Händen. Noch Tausende mehr erschienen auf den Ghats, die der Kurve des Flusses nach Norden folgten. In Zehnergruppen warfen sie nacheinander ihre Blumen ins Wasser, wateten dann hinterher und begannen, sich zu waschen. In wenigen Minuten waren die beiden von zahllosen Menschen und schwimmenden Kränzen aus violetten Blumen umgeben, die sich im Zwielicht der Dämmerung drehten. Die Frau machte Aufnahmen mit ihrer Kamera. Gallagher konnte seine Augen nicht von ihr lösen, vor allem nicht von ihren Schenkeln, die kraftvoll aussahen und nussbraun gebrannt waren.
    »Was passiert hier eigentlich?«, fragte er. »Baden die hier jeden Tag so ausgiebig?«
    »Einmal im Jahr kommen sie, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen«, antwortete sie, während sie weiter fotografierte. »In den nächsten zehn Tagen wird eine halbe Million Menschen in diesem Flussabschnitt ein Bad nehmen. Die Schriften der Hindus sagen, dass das Fest bis zu den Ursprüngen der Erde zurückreicht, als die Götter noch mit den Dämonen darüber stritten, wer den heiligen Nektar hatte.«
    Gallagher beobachtete, wie sich Hunderte von Menschen Wasser über den Kopf gossen. »Und was bewirkt dieser heilige Nektar?«
    »Ein einziger Tropfen garantiert einem die Unsterblichkeit«, sagte sie.
    »Dann waschen wir uns also alle hier wegen der Unsterblichkeit?«
    »So könnte man sagen.«
    »Dann hab ich also auch eine Chance, unsterblich zu werden?«
    Sie schüttelte den Kopf und grinste hinterhältig. »Ich glaube nicht, dass die Wasser der Ewigkeit durch Watestiefel aus Neopren dringen können.«
    »Oh«, sagte er nur, und sein Gesicht brannte. Aus irgendeinem Grund war es ihm wichtig, sie zu beeindrucken, und das schien ihm gründlich zu misslingen.
    Sie machte noch ein Foto. »Wer sind Sie eigentlich? Und was tun Sie hier?«
    »Patrick Gallagher. Ich mache einen Dokumentarfilm über die Ausbreitung des Hinduismus und nehme die Bauten der alten Tempel als roten Faden der Erzählung.«
    »Tatsächlich?«, sagte sie und stützte die Hände auf die Hüften. »Ich habe gerade einen Band mit Fotos der Tempel herausgebracht.«
    »Dann sind Sie Emily Beckworth?«
    Emily Beckworth war in der Szene bekannt dafür, dass sie sich in verschiedenen Kulturen überall auf der Welt unter die Einheimischen mischte und ihren Status als Insider dazu nutzte, die intimsten Bilder zu schießen. In den vergangenen zehn Jahren hatte sie für ihre Bücher über japanische Zen-Mönche und ihre Klöster, die Aborigines im Hinterland Australiens, die Yak-Hirtenvölker in der hinteren Mongolei und die Steinzeitmenschen von Papua-Neuguinea mehrere Auszeichnungen bekommen.
    »Die bin ich«, sagte sie und drehte ihre Hüften zur Seite, was in Gallaghers Kopf ein seltsames Summen auslöste.
    »Sie wären nicht zufällig daran interessiert, bei uns als Leiterin und Kommentatorin mitzumachen?«, konnte er gerade noch krächzen.
    »Kommt auf die Bezahlung an.«
     
    Ein Aufblitzen an der kupferfarbenen Oberfläche des Flusses schreckte Gallagher aus seinen Erinnerungen auf.
    Es kommt zwar selten vor, doch können braune Forellen bei Hochwasser manchmal ihre Verstecke hinter Felsen und unter Flussufern verlassen, um hochzuschießen und nach toten Insekten, Würmern und sogar Mäusen zu schnappen, die ins Wasser gespült worden sind und an der Oberfläche treiben. Gallagher warf den Haken sechs, sieben Meter stromabwärts und straffte die Schnur. Sofort spürte er einen Ruck und dann ein wiederholtes Zucken, als der Haken an den Kanten eines knochigen Mauls entlangfuhr. Er ließ den Fisch zwei Sekunden lang darauf herumkauen und warf dann sein Handgelenk energisch nach hinten, um den Haken zu setzen. Gallaghers Angelrute bog sich fast vollständig um.
    »Ein Riese!«, dachte er. Eine Bluekill-Riesenforelle! Ein solcher Fisch konnte einen vierzigsten Geburtstag retten und sogar die Erinnerung an eine frühere Ehefrau verdrängen!
    Gallagher versuchte, die Forelle mit der Sechser-Schnur niederzukämpfen, doch er spürte zwölf, fünfzehn Pfund in seinen Händen. Vielleicht sogar mehr! Er würde warten müssen, bis das Biest müde wurde, um eine Chance zu haben, es an Land zu bekommen. Die Schnurrolle drehte sich rasend. Die Schnur surrte durch die Ösen. Der Fisch schoss geradewegs stromabwärts auf eine Silberesche zu, die während der vergangenen Sturmnacht in den Fluss gestürzt war. Wenn der Fisch in die Zweige unter der Wasseroberfläche schwamm, konnte
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