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Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Titel: Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Autoren: Laura Windmann
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ihre Enkel, die noch nicht einmal geboren sind.
    Ich esse noch ein Toastbrot mit Krabbensalat »Sylter Art«. Als ich den letzten Bissen in den Mund schiebe, stellt Muddi fest, dass es bereits zwölf Uhr dreißig ist. Wie es in meiner Familie so oft der Fall ist, wird ein dringendes Problem verdrängt – wir vertagen die Vermietungsproblematik auf unbestimmte Zeit.
    Nach dem Frühstück begeben wir uns auf den Weg ins Einkaufsparadies von Buxtehude. Damit nimmt ein Ritual seinen Lauf, das mich sehr an den Film Und täglich grüßt das Murmeltier erinnert. Mit der Ausnahme, dass es mich nur jeden Donnerstag grüßt.
    Allein die Autofahrt mit meiner Mutter stellt eine echte Herausforderung dar: hinhören, weghören, antworten, über seltsam verdrehte Gesprächsbrocken nachdenken und versuchen, einen Sinn darin zu entdecken – manchmal komme ich mir vor, als wenn jemand meine Fähigkeiten zum Multitasking testet. Denn zeitgleich muss ich immerhin auch noch Gas geben, bremsen, kuppeln, die Verkehrslage überblicken, trotz der Ablenkung nicht auf den blauen Renault vor mir auffahren …
    Seit geraumer Zeit habe ich insgeheim ein kleines Spiel entwickelt, um die Autofahrten mit Muddi unbeschadet zu überstehen. Ein Zählspielchen. Ich tue so, als ob ich aufmerksam ihren Erzählungen lausche und zähle dabei langsam die Sekunden, die zwischen dem zuletzt gesprochenen Wort und dem Anschneiden eines komplett neuen Themas verstreichen.
    Dieses Spiel betreibe ich seit gut acht Jahren – und seitdem hat sich das Ergebnis nicht wirklich verändert. Ich komme beim Zählen nie über zehn.
    »Laura, hast du die Dicke da gesehen? Ist ja einfach unglaublich , wie viele dicke junge Frauen hier herumlaufen!«
    Eins, zwei, drei …
    »Ich hab dem Gärtner gesagt, dass er nächste Woche unbedingt noch mal den Rasen mähen muss. Wie sieht denn das sonst aus bei mir?«
    Eins, zwei, drei, vier …
    »Mit meinen Papieren komm ich auch nicht mehr klar. Ich glaub, du musst mir mal wieder beim Sortieren helfen.«
    Eins, zwei, drei …
    »Das ist ja furchtbar , dass der Sohn vom Fuchsberger ertrunken ist! Auch wenn er schon über fünfzig war, es ist und bleibt sein Kind !«
    Eins, zwei, drei, vier, fünf (!)…
    »Von mir aus kann die Welt 2012 ruhig untergehen, bis dahin hab ich mich sowieso erhängt.«
    Eins, zwei, drei, vier, …
    »Am besten ist, ich spreng vorher noch das Haus in die Luft.«
    Eins, zwei, drei …
    »Deine Finger sind schon ganz dünn, Laura! Du hast zu viel abgenommen. Das ist einfach nicht gesund !«
    Eins, zwei, drei …
    »Und gestern hab ich ’ne Dose Ravioli vom März 1999 weggeworfen. Stand ganz hinten im Regal.«
    Sie haben sicher bereits verstanden, wie das Ganze abläuft. Die Pausen zwischen den Monologen betragen niemals, never , jamais , nie, nie und nochmals nie mehr als fünf Sekunden! Und was könnte da helfen? »Im Handschuhfach ein Kleenex ruht / steck’s dir ins Ohr und es ist gut!«
    Inzwischen haben wir den Supermarktparkplatz erreicht. Wir steigen aus, und ich rauche verzweifelt noch eine letzte Zigarette am Auto, bevor wir zu den Einkaufswagen gehen. Ja, ich bin so frei – und so dämlich: Ich rauche noch immer, weil ich den Nikotinkick brauche. Dafür ertrage ich den nun folgenden Redeschwall meiner Mutter, die mir wieder mal in vorwurfsvollem Tonfall erzählt, was sie über die schlimmen Folgen des Rauchens in BILD der Frau gelesen hat. Die bringen anscheinend wöchentlich irgendeine Horrormeldung zu diesem Thema.
    Nach fünf Minuten ist es überstanden. Muddi kramt – wie jeden Donnerstag – minutenlang in ihrem Portemonnaie herum, nachdem sie zuvor bereits die zehn Innenfächer ihrer Handtasche durchwühlt hat, und sucht nach dem Einkaufschip. Genau. Sie hat einen von genau diesem Supermarkt!
    »Muss es denn der grüne Chip sein, Muddi? Die passen doch alle. Oder nimm einfach eine Münze …«
    »Nee, Laura, den hab ich hier extra der Tante an der Information abgeschwatzt. Außerdem passt der Chip vom ALDI hier nicht . Da irrst du dich gewaltig!«
    Ich weiß, Muddi, er hat ja auch letzten Donnerstag nicht gepasst.
    »Ja«, wage ich einzuwerfen, »aber die anderen von Kaufland, REWE , Penny und Lidl, die passen doch! Die stecken alle in deinem Portemonnaie! Da musst du doch nicht stundenlang herumwühlen.«
    Meine Mutter sieht mich mit einer Mischung aus Hochmut und Mitleid an. »Laura – misch dich da nicht ein! Das hab ich immer so gemacht, und das mach ich auch heute so. Ich bin doch wohl
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