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Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Titel: Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Autoren: Laura Windmann
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Doppelselbstmord.
    Ein solcher Abgang wäre ganz nach dem Geschmack meiner Mutter! Allein der Gedanke daran, was die von Schuldgefühlen geplagten Hinterbliebenen nach dem Entdecken des Suizids sagen könnten, regt ihre Seniorenfantasie mächtig an: »Wir haben nie erkannt, wie viel Muddi geleistet hat. Wir haben nie sehen wollen, wie sehr sie litt! Und wir haben viel zu wenig für sie getan!«
    Außerdem weiß ich genau, dass Muddi in Gedanken bereits die RTL -Nachrichten vor sich sieht: »Zwei verwitwete und vereinsamte Rentnerinnen begehen Selbstmord in schmuckem Fachwerkhaus! Tochter trieb sich selbstsüchtig bei OBI herum!« Meine Mutter interessiert es nicht, dass ich so etwas Langweiliges wie Rohre im Durchmesser von siebzig Millimetern mit einem Abfallwinkel von fünfundvierzig Grad bei OBI besorgen musste. Sie ist ganz einfach von der Tatsache schockiert, dass ich im Anschluss daran ganz allein die Riesenauswahl an Pflanzen betrachtet und mir darüber hinaus Zäune, Steine und Rabatten angesehen habe.
    Und all das, während sie in der Küche stand und mich dringend für den Einkauf einer Getränkekiste gebraucht hätte. Anstatt mich eigennützig im Baumarkt herumzutreiben, hätte ich ihr doch flugs Mineralwasser besorgen können …
    Natürlich hat sie in Erinnerung, dass sie früher mit meinem Vater »mal eben« kurz zum Baumarkt fahren, sich viele Säcke Blumenerde ins Auto laden und anschließend ihre Blumentöpfe bepflanzen konnte. Jetzt kann sie nicht mehr spontan zu ihrem Gatten sagen: »Lass uns mal eben Blumenerde holen!«, sondern muss für solche Touren immer auf den Donnerstag warten, wenn ich zu ihr nach Buxtehude komme.
    Wahrscheinlich neidet sie mir meine Mobilität – ich, die Besitzerin eines Führerscheins und eines Automobils, kann jederzeit überallhin. Natürlich ohne meine Mutter. Dafür aber mit Führerschein. Ich komme schließlich überallhin. Meine Mutter dagegen musste damals aus finanziellen Gründen auf das Ablegen der Führerscheinprüfung verzichten. Ab 1950. Jährlich. Sozusagen laufend! Jahr für Jahr.
    Aber zurück zum geplanten Suizid der beiden Rentnerinnen. Da meine Mutter sich so gern Krimiserien ansieht, stelle ich mir vor, dass dieser Selbstmord von einem Ermittler-Duo untersucht wird. Fahnder Johannsen würde am Tatort mit einer Pinzette die Kugel aus dem Loch in der englischen Tapete ziehen und kopfschüttelnd und mit effektvoll schnalzender Zunge seinem Unmut Ausdruck verleihen.
    »Inspektor Suhr«, würde er sich dann an seinen Kollegen wenden, »es ist einfach unglaublich, zu welchen Verzweiflungstaten die Silver-Generation fähig ist. So etwas passiert, wenn die Kinder sich nur alle zwei Tage telefonisch melden, ihre Mutter lediglich einmal pro Woche besuchen, um mit ihr einkaufen zu fahren, und nur alle zwei Wochen das Grab des Vaters pflegen.« Erschüttert würde er dann den Kopf schütteln. »Es reicht einfach nicht, Mahlzeiten für fünf Tage vorzukochen und in einer Tupperdose abzuliefern! Dann denken die alten Leute natürlich, dass sie der Familie nur zur Last fallen. Das ist mehr als traurig, aber bezeichnend für unsere inzwischen so erschreckend gefühlskalte Gesellschaft!«
    Dann überlege ich, was meine Mutter wohl sagen würde, wenn ich ihr verkünden würde: »Du, gestern hab ich mir überlegt, wie ich mir am leichtesten das Leben nehmen könnte. Aber ich hab leider einfach keine Möglichkeit, an Waffen heranzukommen.«
    »Lauraaa!«, würde Muddi aufschreien und sich dabei mit schmerzverzerrtem Gesicht ans Herz greifen. »Wie kommst du nur auf den Gedanken, sterben zu wollen! Ich halt so was einfach nicht aus! Jetzt würde ich mir am liebsten sofort das Leben nehmen!«



3
»Arztbesuche sind einfach nur schrecklich!«
    M uddi geht’s ziemlich gut. Abgesehen davon, dass sie seit zwanzig Jahren unter erhöhtem Blutdruck und einem sogenannten Sportlerherzen leidet. Sie wird nicht müde zu erzählen, dass sie sich Letzteres laut ihrem Hausarzt antrainiert hätte, als sie mit Anfang zwanzig täglich rund vier Kilometer Arbeitsweg zu Fuß lief. Viermal am Tag. Morgens einmal, mittags zweimal und abends schließlich noch einmal. Natürlich alles in Pumps. Schick im Büro anzutreten war damals Pflicht. Und für den Weg dorthin galt das Gleiche.
    Mittags lief Muddi also zu Fuß nach Hause zu ihren Eltern, wie das damals üblich war. Ihr blieb exakt eine halbe Stunde Zeit, um mit ihrer Mutter einen Hering mit Pellkartoffeln zu essen (einer für zwei, so
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