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Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Titel: Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Autoren: Laura Windmann
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war das in den Nachkriegsjahren), anschließend gemeinsam abzuwaschen, sich wieder in Pumps und Trenchcoat zu werfen und erneut die besagten vier Kilometer zurück ins Büro anzutreten.
    »Komisch!«, sagt Muddi heute selbst. »Wieso kam eigentlich keiner von uns damals auf die Idee, dass ich die Mittagspause auch in der Stadt verbringen könnte?« Und dann schimpft sie über die widrigen Umstände der damaligen Zeit.
    Infolge der Umstände und ihres schweren Schicksals nimmt meine Mutter inzwischen Medikamente ein. Seitdem ihr der Arzt ein neues Rezept ausgestellt hat, ähneln die Tabletten, die den Blutdruck senken sollen, übrigens denen gegen Wasser in den Beinen in Farbe und Form. Lediglich die Größe variiert um etwa einen Millimeter.
    »Laura«, bittet sie mich oft und streckt mir ihr Pillendöschen entgegen. »Kannst du mal gucken, ob ich auch die richtigen nehme?«
    An sechs Tagen in der Woche muss Muddi ihre Medikamente allein sortieren, doch wenn ich zu Besuch komme, macht sie mich dafür verantwortlich – und begutachtet mit einem mehr als kritischen Gesichtsausdruck meine Fähigkeiten als Arzthelferin!
    Sollte sie eines Tages mit lebensbedrohlichen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert werden, wird das garantiert an einem Freitag geschehen. Und das nur, damit sie dem Notarzt erklären kann: »Wissen Sie, Herr Doktor – donnerstags kommt immer meine Tochter aus Hamburg.«
    »Na, das ist aber schön, Frau Windmann!«
    »Ja, schon. Aber sie ist der Grund dafür, dass ich hier bin, Herr Doktor.«
    »Aber Frau Windmann«, sagt der Mediziner und zieht die Augenbrauen erstaunt empor, »das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen! Sie sagten doch, Ihre Frau Tochter sei immer so hilfsbereit und zuverlässig …«
    Muddi runzelt die Stirn. »Ehrlich? Sagte ich das? Hören Sie: Ich habe meine Tochter gebeten, mir bei der Tabletteneinnahme zu helfen, aber sie hatte keine Lust! Ich hab’s genau gesehen!«
    »Und woran haben Sie das bemerkt?«
    »Sie hat gestöhnt und mit den Augen gerollt, als sie die Tabletten abmessen sollte!« Muddis Stimme bebt bei diesen Worten etwas.
    Nun ist der Arzt aufrichtig entsetzt. »Ach, du liebe Güte! Ja, das ist selbstverständlich etwas ganz anderes! Jetzt erkenne ich erst, wie schwer Sie es haben! Was kann ich denn nur für Sie tun?«
    »Ach«, sagt sie matt, »am besten lassen Sie mich gleich hier im Krankenwagen sterben, ich bin es eh leid …«
    Aber eigentlich geht Muddi ungern zum Arzt. In den vergangenen zwei Jahren hat der Erfindungsreichtum meiner Mutter bei der Rezepterschleichung ohne vorherigen Arztbesuch wahre Blüten getrieben. Es ist schon etwas her, da begab sie sich tatsächlich selbst in die Praxis und kassierte auf Vorrat schon einmal Scheine für die Pillenration der nächsten Monate. Ein anderes Mal schwor sie Stein und Bein, sie würde in ein paar Tagen vorbeikommen und ihren Termin wahrnehmen, aber das Rezept könne ihre Tochter ja schon mal abholen. Natürlich sah der Arzt sie in diesem Fall noch nicht einmal von fern.
    Dann wiederum rief sie die Arzthelferin an und täuschte eine Grippe vor. Deshalb könne sie nicht zum vereinbarten Termin erscheinen, aber – ja! – das Rezept könne ihre Schwiegertochter kurzfristig abholen, das läge ja gewissermaßen auf dem Weg!
    Meine Schwägerin Ute, die Frau meines Bruders Jürgen, hat oft sehr viel mehr Geduld mit Muddi als ich. Das liegt vermutlich daran, dass Ute ihre Kindheit und Jugend nicht mit unserer Mutter verbringen musste. Vielleicht hat sie einfach noch mehr Platz für persönliche Erfahrungen mit ihr übrig! Dagegen hält mein Bruder sich meist aus der Muddi-Betreuung heraus. Er weiß, warum. Ute fühlt sich sichtlich mitverantwortlich für die Versäumnisse ihres Mannes, deshalb steht auch sie häufig für Besorgungsfahrten parat.
    Meine Mutter war zuletzt vor zwei Jahren bei ihrem Hausarzt. Mit mir. Nachdem ich den Termin vereinbart hatte. Und vor allem: nachdem ich mit Engelszungen auf sie eingeredet hatte. Zuvor hatte der Arzt bereits fünfmal bei ihr und zweimal bei mir angerufen, immer mit dem gleichen Anliegen.
    »Frau Windmann«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Ihre Mutter nimmt immer noch Tabletten ein, die ich ihr vor gut drei Jahren verschrieben habe. Inzwischen hätte ich sie halbjährlich untersuchen und wahrscheinlich die Medikation ändern müssen. Ohne Untersuchung stelle ich kein Rezept mehr aus. Bringen Sie Ihre Mutter zu mir. Egal wie!«
    Seitdem hat sie sich immer
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