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Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz

Titel: Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
Autoren: Stefan Fröhling & Andreas Reuß
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I
    Der Herbst hatte sich in diesem Jahr früher angekündigt als in den Jahren davor. Viele Straßen hatten längst einen glitschigen Blätterbelag, der sich durch den leichten Bodennebel noch heimtückischer ausnahm. Die breite zweispurige Straße verlief, wenn auch in einer künstlichen Senke, mitten durch den historischen Stadtpark. Nachts war kaum jemand auf ihr unterwegs. Und der nur an wenigen Stellen von Laternen erleuchtete Park war in der kalten Jahreszeit sogar tagsüber oft menschenleer.
    Die Straße wurde von einer Fußgängerbrücke überspannt, eine Holzkonstruktion auf einem Stahlgerüst, und war an beiden Seiten von mehrere Meter hohen Böschungen begrenzt. Die Frau war nahe der Brücke, wo dichte Büsche und Gestrüpp den oberen Rand der rechten Böschung säumten, von dort plötzlich herab auf die Fahrbahn gestürzt, hatte sich dabei ein- oder zweimal überschlagen und war sowohl durch den Sturz als auch durch den harten Aufprall auf der Straße so benommen, daß sie nicht mehr aufstehen, ja überhaupt reagieren konnte. Der Lkw erfaßte sie sofort und zog sie am Straßenrand ein Stück mit sich, bevor er zum Halten kam.
    Der Fahrer hatte gar keine Chance, seinen Wagen rechtzeitig abzubremsen, zumal der feuchte Blätterbelag den Bremsweg verlängert hatte. Eine überhöhte Geschwindigkeit war ihm nicht nachzuweisen. Als Spediteur war Eduard Lang öfter in der Dunkelheit unterwegs, mußte frühzeitig los, bei weiten Strecken, und kam spät zurück. Diesmal, in der Nacht des 22. Oktober gegen elf Uhr, hatte er Möbelstücke für einen der zahlreichen Bamberger Antiquitätenhändler geladen. Er war allein in seinem Lkw und konnte von Glück sagen, daß ein Zeuge später seine Aussage bestätigte. Denn ein wenig Müdigkeit hatte Eduard Lang auf den letzten Kilometern schon beschlichen, was ihm in jüngeren Jahren nie passiert war.
    Er stand sichtlich unter Schock. Zitternd war er aus dem Wagen gestiegen, die Stimme versagte ihm, und er brachte eine ganze Weile, als sich andere an ihn wandten, kein Wort heraus. Er sah nur die am Straßenrand liegende Frau, ihren leblosen Körper, das weiße Kostüm, das sie trug, den vielen Schmutz – und er hatte sie überfahren, er hatte sie getötet.
    ­­
    Der Moraltheologe Dr. Philipp Laubmann hatte mit dem Todesfall zunächst genausowenig zu tun wie der Barockbaumeister Balthasar Neumann, nach dem die Straße, an der sich der Unfall ereignet hatte, benannt war. Eine Verbindung hätte allenfalls darin bestehen können, daß Laubmann von den prächtigen Kirchen- und Profanbauten Meister Neumanns sehr angetan war und sich gern in ihnen aufhielt. Denn Balthasar Neumann hatte mit seinen in die Innenräume hineinschwingenden Mauervorsprüngen, Säulen und vor allem Lichtdurchlässen Philipp Laubmann einiges zu bieten. Eine dieser Neumann-Kirchen stand am Rande des Stadtparks und damit ganz in der Nähe des Unfallorts: St. Veit – oder lateinisch St. Vitus, was Laubmann besser gefiel.
    Zum Zeitpunkt des Unfalls fuhr Walter Frantz mit seinem Wagen der gehobenen Mittelklasse aus entgegengesetzter Richtung auf die Fußgängerbrücke zu. Er war, wie sich zeigen sollte, zufällig im gleichen Alter wie Eduard Lang, 59, ihm davor allerdings noch nie begegnet. Als er das Unglück sah, ahnte er sofort, daß er ein wichtiger Zeuge war, und er wollte sich alles einprägen.
    Wahrheitsgemäß konnte Walter Frantz deshalb aussagen, daß die Frau, rückwärts gewandt, aus den Büschen heraus auf die Straße gestürzt war, und zwar nur Sekundenbruchteile vor dem ankommenden Lkw, ja er wollte geradezu beschwören, daß sie gewaltsam gestoßen worden sei und sich auch gewehrt habe; als hätte man ein Fahrzeug wie den Langschen Lkw abgepaßt, um sie zu töten. Der Zeuge hatte sogar den Eindruck, für einen Augenblick schemenhaft eine zweite Person gesehen zu haben, mehr einen Schatten, der gleich wieder verschwunden war. Und im Scheinwerferlicht war ihm die Frau in ihrem weißen Kostüm und mit ihrem wehenden weißen Schal für einen kurzen Moment, als hätte die Zeit ausgesetzt, fast überirdisch erschienen.
    Das Bild ließ ihn nicht los; er wiederholte seine Schilderung mehrmals. Seine anfängliche Umsichtigkeit, als er den Wagen verlassen hatte und auf Eduard Lang und die Tote zugegangen war, als er hatte helfen wollen, war gewichen. Die verständigten Polizeibeamten, die den Unfallort weiträumig absperrten und die Beobachtungen des Zeugen Frantz protokollierten, waren sich sofort
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