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Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)

Titel: Mutti geht's gut: Wahre Geschichten aus dem Leben einer Tochter (German Edition)
Autoren: Laura Windmann
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benutzt. Während sie damit beschäftigt ist, sagt sie: »Laura, das Grafenhaus steht jetzt seit sechs Wochen leer. So kann das nicht weitergehen! Der Toilettenabfluss fängt schon an zu riechen. Andauernd muss ich rüber und die Spülung betätigen, damit es nicht noch mehr riecht. Und das mit meinen Knieschmerzen!« Sie lässt von ihrem Dutt ab und reibt sich stattdessen die Kniescheiben. Dabei zieht sie die Schultern hoch, was der Bewegung noch mehr Ausdruck verleiht.
    Das »Grafenhaus« heißt deswegen so, weil meine Eltern es seinerzeit von einem waschechten Grafen erstanden haben. Es steht für eine gewisse Vornehmheit, einen Glanz, der mit dem Kauf des kleinen, aber doch recht hübschen Fertighauses aus den Fünfzigerjahren auf meine Familie überging. Im Erdgeschoss bilden zwei große, durch einen weiten Türbogen miteinander verbundene Räume ein großzügiges Wohnzimmer. Eine entzückende Wendeltreppe, die dem Haus das besondere Etwas verleiht, führt in die obere Etage, wo sich das Schlafzimmer befindet.
    Das kleine Badezimmer im Erdgeschoss ist schwarz gekachelt. Darin gibt es eine Sitzbadewanne – so etwas war in den Fünfzigerjahren der letzte Schrei. Muddi findet das Bad »ganz zauberhaft und eigentlich ja auch luxuriös«, weil eine der letzten Mieterinnen vergoldete Wasserhähne installieren ließ. Die goldene Farbe blättert zwar inzwischen ein wenig ab, doch das tut Muddis Begeisterung keinen Abbruch. Alles an diesem Haus ist für sie schick und elitär, sogar die Einrichtung: Nachdem der Herr Graf verstorben war, hatte eine seiner Töchter meinen Eltern seinen mit Nussbaumholz furnierten Sekretär überlassen. Meine Mutter schwebte danach wochenlang zwei Zentimeter über dem Boden, so als wäre sie dadurch selbst geadelt worden. Ich freute mich etwas zeitverzögert, denn nach längerem Untersuchen des Möbelstücks entdeckten wir in einem Geheimfach Briefe der Schwester von Friedrich Engels sowie getrocknete Blumen von Theodor Körners Grab und Gedichte des Autors. Manchmal lohnt es sich doch, vermeintlich unnützen Nachlass anzunehmen. Und sei es nur, um Geschichte in den Händen zu halten oder sich an einfachen Freuden vergangener Epochen wie dem Sammeln getrockneter Blüten zu ergötzen.
    Mieter waren gekommen und gegangen, nachdem meine Eltern das Haus gekauft hatten. Die letzten waren vor rund sechs Wochen ausgezogen. Nachdem meine Mutter das Neuvermietungsproblem zunächst verdrängt hatte, kommt es ihr just an diesem Donnerstagmorgen in den Sinn, dass es angepackt werden muss. Und zwar sofort!
    »Ich muss eine Annonce aufgeben«, jammert sie. »Oh Gott, wie ich so was hasse! Am liebsten würde ich das Haus anzünden und mich gleich mit!«
    Diese Übertreibung – so denkt zumindest meine Mutter – weckt in ihrer Tochter sofort den Beschützerinstinkt. Und Muddi erwartet, dass ich ihr als gute Tochter nun alle Unannehmlichkeiten abnehmen werde. Früher hätte ich das auch getan. Mittlerweile aber lehne ich mich in solchen Situationen zurück und warte einfach ab. So auch heute. Dies hat sich als gute Strategie erwiesen, denn schon versucht Muddi, das Problem eigenständig zu lösen. Selbstverständlich seufzt sie zuvor noch einmal laut, rollt mit den Augen und zieht gekonnt eine Augenbraue hoch.
    »Was schreib ich da denn rein, Laura? Ich will auf gar keinen Fall, dass die Leute Kinder haben. Und Haustiere auch nicht.« Sie nickt energisch, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Und am besten ist es, wenn sie berufstätig und den ganzen Tag weg sind. Zu jung dürfen sie natürlich auch nicht sein, sonst wollen sie ständig feiern.«
    Ich will etwas sagen, denn mein Mann und ich zählen uns noch nicht zum alten Eisen – trotzdem feiern wir nicht wie die Weltmeister. Aber Muddi ist so in Fahrt, dass sie sich nicht unterbrechen lässt.
    »Ha!«, ruft sie. »Und dann sitzen sie auf der Terrasse und hören laute Musik, laden fünfzig Freunde ein und grillen! Dann riecht alles nach Grillfleisch und ich komm gar nicht mehr zur Ruhe!«
    »Muddi«, sage ich in dem Versuch, meine Mutter zur Räson zu bringen, »du willst doch keine Scheintoten in deinem Haus haben. Sonst kommen die nach zwei Jahren auf die Intensivstation und du musst wieder neue Mieter suchen.«
    Mir fällt auf, wie fest ich davon überzeugt bin, dass meine Mutter ihre Mieter überlebt. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie geistig äußerst rege ist. Ja, manchmal glaube ich sogar, Muddi überlebt uns alle – sogar
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