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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Autoren: Franziska Seyboldt
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ihn kennenlerne, den Müslimann, der hoffentlich weiß, dass man Haferflocken nicht anbauen kann.
    »Gut, wann geht’s los?«, frage ich.
    »Wir treffen uns um fünf an der U-Bahn. Und bring was zu essen mit.«
    Wenn man in der U-Bahn länger aus dem Fenster guckt, wird man irgendwann verrückt. Da bin ich mir ganz sicher. Immer nur dieses Schwarz, ab und zu unterbrochen von Lichtern, die aufblitzen und wieder verschwinden, dunkel, dunkel, hell, dunkel, und deren Funktion dem Fahrgast verschlossen bleibt; es reicht ja auch, wenn der Zugführer sie kennt, aber tut er das? Unklar bleibt auch, ob das Schwarz wirklich die Wand des Tunnels ist oder etwas Größeres, etwas Unendlicheres, und ob sich der Waggon nicht längst irgendwo im Orbit befindet. Hui!
    Um solche Gedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen, sitzen die Menschen in der U-Bahn nie einfach nur da und schauen aus dem Fenster, so wie in der Tram, wo die Landschaft im Zeitraffer an einem vorüberzieht und die Augen etwas haben, an dem sie sich festhalten können. Die Menschen in der U-Bahn lesen, verschicken Nachrichten, um mit der Welt in Kontakt zu bleiben, oder hören Musik, die Augen geschlossen, dunkel, dunkel, hell, dunkel.
    Noch besser ist es, wenn man jemanden hat, mit dem man sich unterhalten kann, an dem man sich festhalten kann, wenn keine Sitzplätze mehr frei sind und die U-Bahn eine unerwartete Kurve macht. Ich habe Martha.
    Wir sind auf dem Weg in den Schrebergarten, ein kleines Stück Natur, 10 x 20  Meter, mitten in der Großstadt, auf das der Müslimann angeblich vier Jahre warten musste. Die Plätze sind begehrt.
    »Was hast du denn eigentlich mitgebracht?«, fragt Martha und schielt auf meine Tasche.
    »Bratwürste und Bier. Und du?«
    »Ach, nur einen Feldsalat mit Ziegenkäse und Kürbiskernkrokant.«
    Der Obdachlosenzeitungsverkäufer, der an der Tür steht und auf die nächste Haltestelle wartet, schüttelt den Kopf.
    Drei Stationen später steigen wir aus. Auf dem Weg von der Haltestelle passieren wir mehrere Kleingartenkolonien, deren schmiedeeisernen Tore den sauber geharkten Kiesweg von der Straße trennen. Sie heißen Germania, Friede und Arbeit, Bergfrieden. Ich bekomme ein bisschen Lust, mit einer Schrotflinte auf Tontauben zu schießen, nur damit hier mal was passiert. Ob ich den dicken Mann im weißen Unterhemd fragen soll, der auf dem Balkon eines Plattenbaus steht und uns beobachtet? Der hat bestimmt irgendwo ein Gewehr. Aber Martha zieht mich weiter, bis ans Ende der Straße, wo eine rot-weiß-gestreifte Schranke den Autofahrern den Weg versperrt und ein Tor unbefugte Passanten einschüchtern soll. »Kolonie Lebensfreude« steht in schnörkeligen, verchromten Buchstaben darauf.
    »Hier muss es irgendwo sein«, sagt Martha und drückt die Klinke runter. Quietschend fällt die Tür hinter uns ins Schloss.
    Etwas ratlos stehen wir auf dem Kiesweg, der sich in drei Richtungen gabelt. Wir entscheiden uns für die Mitte, laufen vorbei an Buchsbaumhecken, Maschendrahtzäunen und Steinmauern. Eine Parzelle links, eine Parzelle rechts, wir laufen im Gleichschritt über den knirschenden Kies, eins, zwei, eins, zwei, und ich halte eine Sekunde inne. Beim Weitergehen knirscht der Kies synkopisch, eins und zwei und eins und zwei. Ein Mann im Adidas-Jogginganzug kommt uns entgegen, neben ihm trabt eine Bulldogge mit heraushängender Zunge. Es ist heiß. Kurz vor uns biegt der Mann ab und verschwindet in einem Garten. Akkurater Rasen, Gartenlaube, Deutschlandfahne. Schnell gehen wir weiter, vorbei an Gartenzwergen und Obstbäumen, an »Vorsicht vor dem Hunde«-Schildern und Planschbecken. Irgendwann stehen wir vor der Nummer 28 .
    »So«, sagt Martha, »wir sind da.«
    Ich spähe über das Gartentor und bin erleichtert, dass ich nirgendwo eine Flagge sehe. Der Rasen sieht auch nicht aus, als wäre er in letzter Zeit mal gemäht worden. Außerdem riecht es verdammt gut nach Grill.
    »Ist der Müslimann eigentlich Vegetarier?«, frage ich, als wir auf den Steinen entlang Richtung Gartenhäuschen balancieren.
    »Ja«, sagt Martha.
    Zum Glück bin ich total unvoreingenommen, deshalb denke ich auch nicht, dass das ja irgendwie klar war. Hauptsache, niemand verbietet mir, meine Würstchen auf den Grill zu legen.
    Vor der Laube sitzen um die fünfzehn Menschen auf Bierbänken und Gartenstühlen. Ein paar andere stehen rum und trinken Bier oder rennen Kindern hinterher, die halbnackt durch den Garten toben. Keine weißen Rüschenkleider. Keine
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