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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Autoren: Franziska Seyboldt
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Tischen zu uns umdrehen. Sie atmet aus und greift nach meinen Zigaretten.
    »Ich darf doch ..?«
    »Klar.«
    Martha zündet sich eine Zigarette an, inhaliert und zischt:
    »Du weißt ganz genau, dass ich mich niemals für einen Mann verändern würde.«
    Ich nicke beruhigend. Natürlich nicht. Das hat ja auch noch nie eine Frau vor ihr gemacht.
    Wir schweigen ein bisschen vor uns hin, während Martha ihre Zigarette raucht, sie dann ausdrückt und das Gesicht verzieht.
    »Bah. Eigentlich sollte ich wirklich aufhören.«
    »Siehst du, genau das meine ich!«, rufe ich.
    »Immer dieses ›Eigentlich sollte ich blabla‹. Aufhören zu rauchen, weniger trinken, mehr Sport machen, gesünder essen … Wie das nervt! Dann lass es halt. Aber hör auf, ständig drüber zu reden, echt mal.«
    Kurze Zeit später verabschiedet sich Martha. Angeblich muss sie zum Pilates.
    Ich bleibe sitzen. Halte das Gesicht in die wärmende Märzsonne, die dafür verantwortlich ist, dass halb Berlin keine Lust hat zu arbeiten, jedenfalls nicht im Büro. Nein, die Menschen sitzen allesamt vor Cafés in der Sonne und tippen geschäftig auf ihren Laptops herum. Eigentlich wollte ich ja ein bisschen schreiben, aber ich lasse mein MacBook dann doch lieber in der Tasche. Nachher denkt noch jemand, ich wäre auch einer von diesen jungen, hedonistischen Kreativen, die nach der Schule, spätestens aber nach dem Studium aus der Kleinstadt geflüchtet sind und jetzt was mit Medien machen.
    Stattdessen beobachte ich die anderen Leute und überlege mir, wie die wohl so sind. Der Bärtige mit der großen Brille am Nebentisch würde ohne Bart wahrscheinlich aussehen wie 19 . Seine Akademikereltern finanzieren ihm sein iPad und die Altbauwohnung, die ebenso heruntergekommen wie teuer ist. Er kauft seine Kleider in kleinen Designerläden, weil er die Arbeitsbedingungen bei H&M nicht erträgt – aber eigentlich erträgt er es nur nicht, wenn jemand im gleichen T-Shirt rumläuft wie er.
    Oder die Blonde da hinten, mit dem Dutt oben auf dem Kopf, die gerade die Bauernschnitte mit Fenchelsalami und Rucola isst. Sie verachtet Fast Food, außer wenn sie sonntagmorgens um fünf betrunken aus dem Club fällt, da schiebt sie sich schon mal einen Döner rein. Am nächsten Tag wacht sie dann mit einem schlechten Gewissen auf und geht ins Fitnessstudio, schnell, schnell, die Sünden tilgen.
    Hihi, das macht Spaß. Ob der Müslimann auch so einer ist? Bestimmt. Ich stelle mir vor, wie wir uns treffen und er mir erklärt, wie ich mein Leben leben soll.
    Müslimann:
    Fitness-Studios finde ich ja total überbewertet, auch diese Leute, die da immer hingehen … Nein, das ist nichts für mich. Yoga ist da schon was ganz anderes, ehrlich, auch für die Psyche. Und grade du solltest unbedingt was tun, du sitzt doch den ganzen Tag am Schreibtisch, oder? Ich trinke ja übrigens auch keinen Kaffee mehr, nur noch Mate-Tee, der ist supergesund, und wenn man sich dran gewöhnt hat, dann schmeckt er sogar gut. Sowieso ist ja heutzutage alles derart mit künstlichen Aromen versetzt, dass in unserer Gesellschaft niemand mehr weiß, wie die Sachen eigentlich schmecken. Das ist schon traurig. Deshalb trinke ich morgens auch immer ein Glas Apfelessig, so zum Entgiften. Nennt sich Detox, das ist quasi das neue Botox, ganz ohne Chemie und Nebenwirkungen. Ob das glücklich macht? Na ja, das nicht. Aber wer ist das schon, glücklich.
    Aua! Ich drehe mich nach rechts, um zu sehen, welcher Idiot gerade meine Schulter gerammt hat. Es ist ein Kinderwagen. Offenbar hat die Besitzerin nicht mal gemerkt, dass ich existiere. Kein Wunder: Sie ist eine dieser Spätgebärenden, die ihre grauen Strähnen okay und ihr Kind unwiderstehlich finden. Eine, die schon alles erlebt hat. Vor zwanzig Jahren hatte sie einen Iro und eine Band, hat ein paar Drogen ausprobiert und was mit Geisteswissenschaften studiert. Mit Ende dreißig lernte sie ihren Mann kennen, wurde nach einem halben Jahr schwanger, hörte auf zu rauchen und seitdem das Kind da ist, ernährt sie sich vegetarisch und glutenfrei und natürlich kauft sie nur noch im Bioladen ein. Das Kind soll schließlich gesünder aufwachsen als sie!
    Aber irgendwann wird er kommen, der Tag, an dem das Kind nach Gebäck mit Weißmehl verlangt, und dann wird sie sich fragen, warum, denn sie hat doch eigentlich alles richtig gemacht.
    Ach Ökomutti, komm, ramm mich noch mal. Ehrlich. Das tut dir gut. Ich lächle sie an und entschuldige mich dafür, dass ich ihr im
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