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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Autoren: Franziska Seyboldt
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Weg sitze. Wenn das jeder machen würde!
    Als die englischsprachige Kellnerin vorbeikommt, bestelle ich mir noch einen Cappuccino. »Unser Kaffee ist aus glücklichen Bohnen«, lese ich auf der liebevoll gebastelten Speisekarte. Früher waren es nur die glücklichen Schweine auf dem Biobauernhof, dann gab es glückliche Eier, und jetzt darf sogar der Kaffee keine schlechte Laune mehr haben. Wie anstrengend! Aber klar, die Nachfrage bestimmt das Angebot, und es gibt eben sehr viele Menschen, die nur glücklich sind, wenn es der Kaffee auch ist.
    All das beschreibt ganz gut, was hier um mich herum passiert: Es bildet sich eine Ökodiktatur.
    Im Englischen gibt es den Begriff des muesli belt für das typische Viertel ökologie- und gesundheitsorientierter Mittelklassebürger mit Ernährungsbewusstsein. Die Menschen, die dort wohnen, heißen Lohas (ein Akronym für Lifestyle of Health and Sustainability ), und obwohl sie sich vom Strickpulloverimage der früheren Ökos distanzieren, wollen sie auch irgendwie nachhaltig und gesund und verantwortungsbewusst leben. Vor allem aber wollen sie konsumieren. Natürlich mit gutem Gewissen, darum kaufen sie das einfach mit. Dann haben sie auch noch was für den Regenwald getan, da zahlt man doch gerne ein bisschen mehr, stimmt’s?
    Manchmal denke ich schon, dass diese Leute einen an der Waffel haben. Und in der Waffel, die von kichernden Elfen bei Vollmond gepflückt wurde, tragen sie vermutlich neue Eiskreationen mit sich herum. Hallo, ich hätte gerne drei Kugeln, und zwar Dinkel, Roggen und Gerste. Ach nee, doch lieber ein Vollkornspaghettieis. Was zum Naschen – man gönnt sich ja sonst nichts –, aber gesund soll es schon sein, bitteschön.
    Lohas sind Ökos mit Glitzer obendrauf, und die ganze Stadt ist voll von ihnen. Vermutlich wird es schon bald einen anderen, einen neueren Namen für sie geben.
    Etwa Glöko.
    Oder Ögli.
    Oder irgendeine andere absurde Wortneuschöpfung.
    Aber ganz egal, wie sie sich nennen: Sie haben keine Ahnung, was es bedeutet, von Ökos der ersten Stunde erzogen worden zu sein.

2 Das Müslimädchen wird geboren,
Mitglied einer Kartoffelfamilie und Außenseiterin.
Dabei wäre es viel lieber Prinzessin.
    Es gab einmal eine Zeit, in der Heranwachsende mit Plastikschnullis um den Hals herumliefen. Der Schnulli war kein Gebrauchsgegenstand, sondern ein Modeaccessoire. Manche nuckelten sogar daran, was nicht infantil aussehen sollte, sondern ironisch, aber ironischerweise doch ziemlich infantil wirkte. Es waren die Neunziger, und schlechter Geschmack war der neue gute Geschmack.
    Auch an unserer Kleinstadt ging dieser Trend nicht spurlos vorüber. Im Spielzeugwarenladen gegenüber der Eisdiele gab es hässliche Trolle mit neonfarbenen Haaren, Klebetattoos und riesige Gläser mit eben diesen bonbonbunten Plastikschnullis, die 50  Pfennig das Stück kosteten. Kitschig, ja. Aber so toll!
    Meine beste Freundin Nora und ich standen täglich vor der schwierigen Entscheidung, ob wir unser Taschengeld lieber für eine Kugel Eis oder einen weiteren Schnulli ausgeben sollten, den wir dann zu den anderen auf unsere Halsketten fädeln oder an den Schulranzen hängen konnten.
    Nora wohnte zwanzig Sekunden von meinem Haus entfernt (wenn man rannte und kein Auto kam, wir hatten die Zeit gestoppt) zusammen mit ihren Eltern, die alle drei Jahre ein Kind produzierten. Nora war das erste, danach kamen noch ein Bruder und eine Schwester. Und zwei Katzen, die holten sie allerdings vom Bauernhof. Nora war die Schwester, die ich nie hatte und andersrum genauso. Also, sie hatte zwar eine Schwester, aber die war zu klein, als dass man etwas mit ihr hätte anfangen können.
    Ich war unglaublich gerne bei Nora, denn dort war alles ganz anders als in meiner Familie. Schon der Geruch in der Wohnung unterschied sich elementar von dem in unserer. Bei ihr roch es nach Weichspüler, Tupperware und Gummibärchen. Bei uns roch es nach Öko.
    Öko war damals noch ein Schimpfwort. Meine Eltern kauften das Essen am Demeter-Stand auf dem Wochenmarkt, die Waschnüsse im Bioladen und den Brotaufstrich im Reformhaus. Auf die meisten Leute in unserer Stadt, die sich »große Kreisstadt« nannte, aber eigentlich ein Dorf war, wirkten wir wie ein Relikt aus Hippie-Zeiten: irgendwie durchgeknallt, esoterisch – und vor allem verstaubt.
    Die Ökos trugen selbst gestrickte Pullis, Birkenstock-Sandalen und Jutetaschen, aus denen verschrumpelte Möhren herausragten. Sie machten Urlaub auf dem
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