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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Autoren: Franziska Seyboldt
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islamischer Name nicht gerade hilfreich bei der Arbeitssuche sein würde, entschlossen sich Habibs Eltern, ihren Sohn umzubenennen. Wie wäre denn zum Beispiel Hans, überlegten sie, so würden wenigstens die Initialen gleich bleiben. »’ans?«, rief der Einbürgerungsbeamte und schüttelte erschrocken den Kopf, »non, non, das ist kein französischer Name … Wir brauchen etwas Klassischeres.«
    Am Ende einigten sie sich auf Christian. Wenn Habib die Geschichte erzählte, schnalzte er gerne in gespielter Empörung mit der Zunge und sagte: »Von Habib, dem Moslem, zu Christian, dem Christen. Irgendwas in der Mitte haben sie offenbar nicht gefunden.«
    Und obwohl ihn seit über zehn Jahren alle Christian nannten, war er für uns von Anfang an Habib. Habib bedeutet Freund, und wir fanden, das passte besser.
    Andere Zwischenmieter warfen wir schnell wieder raus. Zum Beispiel den, der ausschließlich in seinem Zimmer saß und Computer spielte. Ich erinnere mich nicht mal mehr an seinen Namen, aber wir nannten ihn sowieso nur den Psycho. Manchmal vergaßen wir sogar für einige Tage, dass er existierte – bis einer von uns nachts in die Küche ging und beinahe einen Herzinfarkt bekam, weil der unsichtbare Mitbewohner im Dunkeln am Esstisch saß und darauf wartete, dass sich sein Fertiggericht in der Mikrowelle zu Ende drehte. Sobald das Licht ausging – pling! –, verschwand er wieder in seinem Zimmer.
    Einmal wachte ich auf, weil ich Schritte vor meiner Zimmertür hörte. Als ich mich aufrichtete, sah ich einen Schatten unter dem Türschlitz und hörte ein Kratzen an der Tür. Verstört schlief ich wieder ein. Am nächsten Morgen fand ich einen Brief auf meinem Zimmerboden. Es stellte sich heraus, dass der unsichtbare Mitbewohner den Briefkasten geleert hatte und einen an mich adressierten Brief unter der Tür durchgeschoben hatte. Um vier Uhr nachts.
    Nach vier Jahren hatte ich genug vom WG -Leben. Und ich hatte viel erlebt. 20  Mitbewohner, ein Zimmer an einer vierspurigen Hauptstraße, 84 einhalb WG -Sitzungen (inklusive der einen, bei der ich nach der Hälfte genervt den Raum verließ), 347 9 87  Haustiere (ein Hase, zwei Katzen, 347 9 84  Spinnentiere der Gattung Dermatophagoides, besser bekannt als Hausstaubmilben). Ich brachte gefühlte 12 7 89  Pfandflaschen zurück, fischte 267  mal Haare aus dem Abfluss, feierte 23   WG -Partys, beerdigte 12 eingegangene Basilikumpflanzen, konsumierte 104  Kilo Spaghetti, 832  Liter Wein, 520  Liter Bier und 571  Tiefkühlpizzas. Ich hörte 34  Mal die Zimmernachbarn beim Sex, 35  Mal beim Streiten und 43  Mal die Worte »Ich hab aber das letzte Mal schon Klopapier gekauft!«.
    Ich wollte mich nicht mehr über Putzpläne streiten oder darüber, wer wem die letzte Packung Häagen-Dasz-Eis weggefuttert hat. Und Angst vor Einbrechern hatte ich auch nicht mehr. Es wurde Zeit für eine eigene Wohnung.

14 Dünsten, blanchieren, verfeinern.
Die Hobbyköche nerven und das Müslimädchen verteidigt sein Recht auf Fast Food.
Ketchup ist schließlich auch Gemüse.
    Seit einiger Zeit war Martha Abonnentin einer Biokiste. Jeden Samstag klingelte es an ihrer Tür und ein rotbäckiger Mann mit Gummistiefeln und Brandenburger Autokennzeichen auf seinem Lieferwagen brachte ihr frisches Obst und Gemüse vorbei, und wenn die Hühner einen guten Tag gehabt hatten, gab es noch ein Ei obendrauf.
    Die Kiste habe eine Menge Vorteile, sagte Martha. Erstens müsse sie nicht mehr so oft einkaufen gehen. Zweitens stamme der Inhalt ausschließlich von Bauern aus dem Umland. Dank ihrer Kiste äße sie jetzt nur noch saisonale Produkte, so sei sie ganz nah dran an der Natur und käme nicht länger in Versuchung, im Winter Erdbeeren aus Spanien zu kaufen. Gut, wenn die Ernte in Deutschland mal schlecht laufe, gäbe es auch im Sommer keine Erdbeeren, aber da müsse man dann eben durch. Aber drittens und vor allem, sagte Martha, sei jedes Mal etwas dabei, das sie noch nicht kennt. Steckrüben. Portulak. Schwarzkohl. Sprossen. Pflücksalat.
    Die Biokiste: ein Überraschungsei, nur ohne Schokolade und Spielzeug.
    »Letztens lag da so ein Ding drin, das sah aus wie eine übergroße Zucchini. Aber irgendwie anders. Gelber«, sagte Martha.
    »Ein mutierter Kürbis?«
    »Nein, aber nachdem ich ein Foto davon gemacht und bei Facebook gepostet habe, schrieb jemand, es handle sich um eine Schmorgurke.«
    Sie machte eine Kunstpause und wiederholt verzückt: »Eine Schmorgurke!«
    »Ich wusste nicht
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