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Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben

Titel: Mueslimaedchen - mein Trauma vom gesunden Leben
Autoren: Franziska Seyboldt
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mal, dass ein Gemüse namens Schmorgurke existiert.«
    »Ich ja auch nicht«, rief Martha. »Toll, oder?«
    Joa.
    »Vielleicht gibt es ja auch einen Grund, dass wir die Schmorgurke bisher nicht gekannt haben. Weil sie es nicht verdient, ein Promigemüse zu sein, zum Beispiel. Denn wenn sie so aufregend wäre, hätte sich das sicher schon herumgesprochen, oder?«
    »Oder aber«, sagte Martha, »wir haben bisher einfach einen beschränkten Horizont gehabt. Weißt du übrigens, wie man Schmorgurken zubereitet?«
    Seit Martha ihre Biokiste hatte, verbrachte sie den halben Tag damit, Rezepte zu googeln – vorausgesetzt, sie fand heraus, wie das Gemüse aus der Kiste heißt. Die andere Hälfte des Tages kochte sie. Martha zählte an den Fingern auf, welche Schmorgurkenrezepte sie schon gemacht hatte: »Montags Schmorgurken pikant mit Hack gefüllt. Dienstags karamellisierte Schmorgurken als Nachtisch. Mittwochs habe ich dann die restlichen Schmorgurken püriert und zu Suppe verarbeitet, das reichte für den Rest der Woche. Und ich konnte sogar noch was einfrieren.«
    Einfrieren! Wie spießig war das denn? So etwas hatten doch bisher nur unsere Eltern gemacht. Ich bekam Angst. Es fühlte sich ungefähr so an, wie wenn man im Spiegel das erste graue Haar entdeckt und sich wundert, dass man es bisher nicht bemerkt hat, denn es muss ja eine Zeit lang gewachsen sein, um nun aus der Frisur ragen zu können wie eine Antenne, die geheime Signale von Außerirdischen empfängt. Trotzdem sieht man es erst, wenn es zu spät ist.
    So war es auch jetzt. Schlagartig realisierte ich, dass ich keine Freunde mehr hatte. Stattdessen war ich umgeben von Hobbyköchen.
    Die Hobbyköche blanchierten, dünsteten und flambierten, sie schafften sich Kochbücher an, tauschten Rezepte aus, belegten Kurse und kauften Wiegemesser, Käsehobel und Eiersollbruchstellenverursacher. Ihr Kühlschrank war immer gut gefüllt, sodass sie jederzeit spontan »etwas zaubern« konnten, falls sich plötzlich Besuch ankündigte. In ihrem Tiefkühlfach lagen selbstverständlich keine Fertiggerichte, sondern ein paar Zweige von dem Basilikum, den sie im Sommer selbst auf dem Balkon gezogen hatten. Sie wussten, welcher Wein zu welchem Gericht passt und dass er mindestens vier Euro kosten muss, damit man ihn trinken kann. Und immer hatten sie frischen Ingwer da.
    Vor allem aber verhielten sie sich wie ehemalige Raucher, die es geschafft hatten, ihre schlechte Angewohnheit abzulegen. Ständig betonten sie, wie toll sie sich jetzt fühlten und wie schrecklich es früher war, als sie sonntags zum Tatort Essen bestellten, Wein aus dem Tetrapak tranken oder Spaghetti mit Tomatensoße von Mirácoli essen mussten. Meiner Erinnerung nach hatten sie das ziemlich gerne gemacht, aber davon wollten sie jetzt nichts mehr hören.
    Verräter!
    Was also tun? Ich tat das, was ich am besten konnte: rebellieren. Hatte ich schließlich jahrelang zu Hause geübt. Auch wenn ich keine Lust hatte, schon wieder die Außenseiterin zu sein – diesem neuen Trend würde ich mich verdammt noch mal verweigern.
    Und da begannen die Probleme.
    Ich hatte nämlich nicht bedacht, dass die Menschen um mich herum nicht nur Hobbyköche, sondern offenbar auch bei der Stasi waren. Wie ehemalige Raucher, die immer am lautesten meckern, wenn irgendwo ein Molekül Tabakrauch herumschwirrt, hielten es meine ehemaligen Freunde im Kopf nicht aus, dass ich ab und zu Fast Food aß.
    »Dein dreckiges Geschirr ist ja sehr aufschlussreich«, sagte Emil und beäugte kritisch die Teller in meiner Spüle.
    »Pizzaränder und Tomatensoße. Hast du in den letzten Tagen mal irgendwann Salat gegessen?«
    Bis dahin hatte ich, naiv wie ich war, gedacht, wir seien nur zu einem harmlosen Kaffee verabredet. Wie man sich täuschen kann! Die Wahrheit war: Meine Wohnung wurde inspiziert. Ich fühlte mich wie meine Mutter, damals, als sie zum Studieren in eine andere Stadt gezogen war und ihre Eltern vorbeikamen. Den ganzen Tag hatte sie damit verbracht, die Wohnung zu putzen, doch mein Opa fuhr nur einmal mit dem Zeigefinger oben auf dem Türrahmen entlang und streckte meiner Mutter schweigend seine staubige Fingerkuppe entgegen. In den nächsten Jahren kamen sie dann nicht mehr oft zu Besuch.
    Bei mir ging inzwischen die Razzia weiter. Zwar subtil, aber ich war ja nicht blöd.
    »Hast du Milch da?«, fragte Emil und ging zum Kühlschrank, ohne meine Antwort abzuwarten.
    Es ist nämlich so: Mein Kühlschrank sieht von innen aus wie
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