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Mueller und die Schweinerei

Mueller und die Schweinerei

Titel: Mueller und die Schweinerei
Autoren: Raphael Zehnder
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Schweineleibern. Von Kot. Von Angst.
    Und jetzt fällt Beat der PIN -Code des Handys wieder ein. 1310. Sein eigener Geburtstag.
    Und dann kommt der Streifenwagen von der Kantonspolizei Aargau, Posten Bremgarten, zwei Mann (Korporal Bopp Roland; Aspirant Schönbächler Reto). Und dann der 4   x   4 vom Veterinär Bruggisser. Alle machen trübe Gesichter und schütteln den Kopf und atmen ein und aus und schauen nur und sagen nichts, weil da verschlägt es dir buchstäblich die Sprache, wenn du so etwas siehst. Sehen musst. Nicht wegschauen kannst. Und da weisst du gar nicht, wo anfangen mit Aufräumen.

Tag 2
    In der Regel sitzt ein Polizeibeamter ja nicht in einer Clearingzentrale. Höchstens wenn er dort ermittelt. Stichwort »Finanzdelikte«. Meistens. Anders der Müller. In seiner vollen Dimension von 182   Zentimetern Länge und mit den lichter werdenden dunkelbraunen Haaren obendrauf sitzt der Müller in der »Internationalen Clearingzentrale« von Franz Schubert an der Bäckerstrasse 40 im Kreis 4, 8004 Zürich, Zurigo, amore mio, die mediterranste Stadt zwischen Pfannenstiel und Uetliberg. Ist schön, aber leider zugleich ein Hort des Verbrechens. Das wissen Sie bestimmt.
    Warum sitzt der Müller an diesem unpolizeilichen Ort? Er ist noch immer krankgeschrieben, weil Schusswaffentrauma. Bedeutet: hat im Dienst einen verdächtigen Flüchtigen erschossen. Im Mai war das, vor wenigen Wochen. Jetzt August. Wurde zwar juristisch entlastet, unschuldig gesprochen, aber ist psychisch angeknapst, weil ein ethisch-humaner Mensch und gar nicht schiesswütig. Darum Psychologe und Antiaggressionstraining. Und weil nicht im Dienst, hat viel Freizeit. Zu viel Freizeit. Er sitzt also, sein Vorname ist Benedikt und sein Alter 45, sein Wohnort Wiedikon und seine Berufung eigentlich seit neunzehn Jahren die Polizeiarbeit, in Franz Schuberts »Internationaler Clearingzentrale«.
    Der Müller also ziemlich psychisch. Sitzt hier vor dem Bildschirm bei den Zahlen und Clearingvorgängen, weil er weiss, dass es hier für ihn besser ist. Die Gefahren zu Hause sind gross: böse Bilder und Trübsal, Melancholie, Alkohol. Immer in der Wohnung, das würde ihn ganz plemplem machen. Bei Franz Schubert in der »Internationalen Clearingzentrale« ist er gut aufgehoben. Franz gibt ihm eine geregelte Tagesstruktur, damit er nicht im roten Bereich durchdreht. Der Sandra-Fall im ersten Müllerabenteuer »Müller und die Tote in der Limmat« war ja nur eine Gelegenheitsermittlung, eine Auflockerung, Ablenkung. Müller weiss: Mit Gelegenheitsgeistesblitzen und wenn einem das Schicksal zufällig zulächelt, kann man kein Leben bestreiten, höchstens Lücken füllen, obwohl »Das ganze Leben besteht ja freilich aus Lücken.« (Diodoros). Aber philosophischer Trost hilft vielleicht der Belüftung des Kopfes ein bisschen, jedoch nicht genug, um den Tag zu strukturieren. Denn der nächste Tag folgt. Und wieder einer. Und noch einer.
    Die Sinnfrage. Stellt sich jeder früher oder später. Der Müller akut seit Mai und prinzipiell schon viel länger, wegen Philosophie. Und nimmt jeweils eine Tablette eine Stunde vor dem Einschlafen. Damit es beim Einschlafen nicht für ihn denkt, sodass an Einschlafen nicht zu denken wäre.
    Darum sitzt der Müller in der »Internationalen Clearingzentrale« von Franz Schubert, der neben seiner Körpergrösse von 193   Zentimetern eine kaufmännische Grösse ist. Schubert sitzt hinter Papier- und Datenbergen und cleart ab und an noch selbst, um die Hand nicht zu verlieren, den »Kontakt zur Front«, wie er sagt, Auftrag um Auftrag am Computerbildschirm. Er hat Müller angelernt. Ehrensache. Freundschaftsdienst. Sind Freunde und mögen sich wortlos. Das heisst: Grosse Ruhe breitet sich aus, wenn beide beisammen sind, himmlische Stille in der Bäckerstrasse 40, zweiter Stock, trotz vierzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Der Müller ist zwar kein Clearingprofi, macht das nicht so schnell und sicher wie Schubert und dessen professionelle Clearing-Experten, aber fragen kostet nichts. Franz – wenn wir ihn so nennen wollen, wie Müller ihn nennt, und Franz nennt Müller Müller, obwohl Müller ja mit Vornamen Benedikt – hilft dem Müller gerne. Die Verwendung des Nachnamens im so engen Kreis deutet auf Bekanntschaftsschliessung zur Schulzeit, Oberstufe, und so ist es auch.
    Und der Müller brütet am Bildschirm gerade an einem kniffligen Clearing herum. Singapur, sag ich nur: lange Zahlenreihen und Kürzel von
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