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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot
Autoren: Gordon Reece
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gestern ein
(Zugzwang. Ein Begriff aus dem Schach.)
. »Es war ein bisschen wie beim Schach, oder?«
    »Irgendwie schon. Wir mussten jeden Zug genau überdenken.«
    Ich dachte an all die Entscheidungen, die Mum getroffen hatte, seit sie Paul Hannigan mit dem Schneidbrett erschlagen hatte: ihn im Garten zu vergraben, statt die Polizei zu rufen; normal weiterzuleben, als wäre nichts geschehen; die Müllbeutel in die verlassenen Minenschächte zu werfen, in denen man sie nie finden würde; die Pistole zu behalten; den Tod des fetten Mannes für die Sanitäterinnen zu inszenieren, sowie ihr klar geworden war, dass er einen Herzinfarkt erlitten hatte. So viele schwierige Entscheidungen, so viele richtige Schachzüge.
    »Du hast eine brillante Partie gespielt.«
    »Das haben wir beide, Shelley, wir beide.«
    Als mir schließlich der Rücken vom langen Sitzen weh tat und ich keine Lust mehr hatte, über neue Modetrends, Diäten, Filme und Starlets zu lesen, sagte ich: »Ich habe kein schlechtes Gewissen wegen dem, was wir getan haben, Mum. Ich bin froh, dass beide tot sind. Ich fühle mich überhaupt nicht schuldig – auch nicht wegen gestern. Er hat bekommen, was er verdiente. Gut, dass wir das Gesindel los sind, sage ich nur. Alles, was wir getan haben,
wirklich alles,
war Notwehr.«
     
    Nach dem Mittagessen gingen wir lange auf den Wiesen am Fluss spazieren. Es war wieder ein herrlicher Tag, und die Landschaft pulsierte vor Farbe und Leben. Der Raps blühte so leuchtend gelb, dass ich kaum hinsehen konnte; es war, als schaute man ins brodelnde Herz der Sonne. Der Himmel war von einem tiefen Blau, die fernen Hügel hatten einen zarten Lavendelton angenommen, die jungen Bäume am Flussufer waren limonengrün, beinahe gelb, und die Wildblumen hoben sich in reinstem Weiß vom smaragdgrünen, in dicken Büscheln wachsenden Gras ab.
    »Es ist wie auf einem Gemälde von van Gogh«, sagte Mum. »Als hätte man die Farben nicht auf der Palette gemischt, sondern direkt aus der Tube aufs Bild gedrückt.«
    Als wir einen abgelegenen Teil des Ufers erreichten, an dem ungehindert die Brennnesseln wucherten, schaute Mum sich aufmerksam um, holte die Pistole aus der Handtasche und warf sie in den Fluss. Sie verschwand mit einem angenehmen
Plopp
.
    »Heißt es nicht, Wasser würde seine Geheimnisse irgendwann preisgeben?«
    »Soll es doch. Man wird die Pistole niemals zu uns zurückverfolgen können. Ich wollte sie einfach nicht mehr im Haus haben.«
    »Meinst du wirklich, wir brauchen sie nicht mehr?«
    Mum legte den Arm um mich. »Ja, Shelley, da bin ich sicher. Nach allem, was wir durchgemacht haben, werde ich mich nie wieder vor etwas fürchten.«
    In einer kleinen Mulde im Schatten einer Trauerweide verbrannten wir Paul Hannigans Führerschein. Mum hielt ein Feuerzeug daran, und er färbte sich langsam schwarz, während sich die Ecken einrollten. Stinkender schwarzer Qualm stieg auf, als verbrenne Paul Hannigans vergiftete Seele. Ich war ungeheuer erleichtert, als sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerschmolz und Blasen warf.
    Es war nicht wie erwartet zu dem furchtbaren Streit mit Mum gekommen – auch nicht, als wir gestern so viele elende Stunden lang auf unser Urteil gewartet hatten. Nun, da die Plastikkarte in der kleinen, trockenen Mulde zwischen uns glomm, wusste ich, dass es diesen Streit auch nie geben würde. Mum würde niemals danach fragen, mir keine Vorwürfe machen, das Thema nie wieder erwähnen. Ich wusste, sie hatte mir verziehen.
    Mum schaute mich an und lächelte liebevoll. »Keine Geheimnisse mehr?«
    »Keine Geheimnisse mehr«, stimmte ich, ohne zu zögern, zu.
    Als die Flamme erloschen war und die Hitze sich gelegt hatte, berührte ich die schwarzen Überreste des Führerscheins, worauf sie zu Asche zerfielen.
     
    Später am Nachmittag hatten wir Lust, uns in den Garten zu setzen. Obwohl meine Narben gut verheilten, musste ich immer noch vorsichtig sein, und so sahen wir uns nach einem Platz im Schatten um.
    »Wie wäre es damit?«
    Ich wurde blass. Mum zeigte auf das ovale Rosenbeet, dessen Sträucher in einer gewaltigen rosa Blütenfontäne explodiert waren.
    Dann bemerkte sie ihren Fehler. »Vielleicht besser da drüben –«
    Ich unterbrach sie. »Nein, setzen wir uns ans Rosenbeet.«
    Also trugen wir die Plastikstühle in den Schatten der Rosensträucher, nur wenige Meter von Paul Hannigans Grab entfernt. Ich überwand meinen Ekel und legte mir eine philosophische Erklärung zurecht. Ob ich nun in
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