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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot
Autoren: Gordon Reece
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rieb wie wild mit den Ärmeln. Dann hockte sie sich hin und kroch auf allen vieren über den Kies. Was machte sie da nur?
War sie verrückt geworden?
    Als sie schließlich aufstand und sich Hände und Knie abklopfte, eilte ich zurück zum Haus und wartete an der Tür.
    Kurz darauf tauchte sie auf, schien im Geiste eine Checkliste durchzugehen und kam dann langsam und feierlich auf mich zu, die Augen auf den Boden gerichtet. Sie stieg mit großer Sorgfalt über die Leiche des fetten Mannes, als wiche sie einer schmutzigen Pfütze aus, blieb abrupt stehen und hob etwas vom Boden auf. Ich ging näher heran und konnte es gerade noch erkennen, bevor es in ihrer Handtasche verschwand: Es war die halb gerauchte selbstgedrehte Zigarette, die der fette Mann weggeschnippt hatte, bevor er klingelte. Mum klappte die Handtasche zu und stand auf, wobei ihre Knie hörbar knackten.
    Sie betrachtete die Szene konzentriert wie ein Regisseur, der absolut sicher gehen will, dass alle Details stimmen und jedes Requisit am richtigen Ort ist, bevor er
Action!
ruft. Auch ich betrachtete die Szene – das scheußliche Auto mit der offenen Fahrertür, die Leiche des Erpressers, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lag, die Brille mit dem ausgeklappten Bügel auf dem Kies – aber ich verstand nichts.
    »Ich habe meine Pantoffeln gefunden«, sagte ich und trat hinter sie.
    Beim Klang meiner Stimme zuckte Mum zusammen und drehte sich mit ernster Miene um.
    »Gut. Dann bring sie nach oben, wie ich dir gesagt habe.«
    »In Ordnung. Und dann? Was kommt dann?«
    »Dann?« Sie stemmte die Hände in die Hüften und sah mich seltsam an. »Dann rufen wir Hilfe.«

43
    Jetzt war ich vollkommen verwirrt. Ich folgte Mum zum Haus.
    »
Hilfe rufen?
Das verstehe ich nicht. Was ist los? Was hast du vor?«
    Sie ratterte los wie ein Maschinengewehr, während sie durch die Diele in die Küche marschierte.
    »Ich werde die Feuerwehr anrufen und erzählen, wir hätten im Wohnzimmer gesessen, als ein fremdes Auto in unsere Einfahrt gefahren sei. Ein Mann sei ausgestiegen, habe seine Brust umklammert und sei zusammengebrochen. Ich werde sagen, er sei bewusstlos und scheine nicht zu atmen. Wir wüssten nicht, was wir tun sollen, und ob sie bitte sofort einen Krankenwagen schicken können!«
    Sie schaute mich über die Schulter an, aber ich konnte ihr nicht ganz folgen.
    »Er ist an einem
Herzinfarkt
gestorben. Es gibt keine äußeren Anzeichen von Gewalt, nichts, das uns verdächtig machen könnte. Sie werden einfach davon ausgehen, dass er am Steuer einen Herzinfarkt erlitten hat und zum erstbesten Haus gefahren ist, weil er um Hilfe bitten wollte. Und auf dem Weg zu unserer Haustür ist er gestorben.«
    Sie schaute auf ihre Armbanduhr, wobei sich ihre Lippen lautlos bewegten. Dann griff sie zum Telefon.
    »Aber ich muss sofort anrufen. Es ist schon zehn Uhr – er ist seit einer halben Stunde tot.«
    Ich hörte sprachlos zu, während ich Mums Plan allmählich verdaute. Wie die meisten guten Ideen war er ganz einfach – und doch wäre ich nie darauf gekommen. Es erschien mir sehr gewagt. Und wir würden Nerven aus Stahl brauchen. Aber der Krankenwagen würde die Leiche für uns entsorgen. Die Polizei würde das Auto für uns entsorgen. Die Behörden würden alle belastenden Hinweise für uns entsorgen. Wir selber müssten gar nichts tun. Und wären über jeden Verdacht erhaben – gute Samariter, die sich vergeblich bemüht hatten, einem Fremden zu helfen.
    Mum klemmte den Hörer zwischen Wange und Schulter.
    »Bring jetzt die Pantoffeln rauf und räum sie weg.« Dann wählte sie mit zitterndem Zeigefinger die Nummer.
     
    Der Krankenwagen kam überraschend schnell, obwohl wir so abgelegen wohnten. Um Viertel nach zehn rumpelte er mit Martinshorn und Blaulicht in die Einfahrt. Ich fürchtete mich vor der Begegnung mit den Sanitätern, die verzweifelt um das Leben kämpfen würden, das wir soeben vernichtet hatten
(würden sie erkennen, was wirklich passiert war, wenn sie mir in die Augen schauten?)
, doch gleichzeitig langweilte mich die Vorstellung, dass sie einen dramatischen Tanz veranstalten würden, um das Leben des fetten Mannes zu retten. Kein Arzt der Welt konnte hier noch etwas ausrichten.
    Zwei Sanitäterinnen – eine über fünfzig mit blondiertem Haar und randloser Brille, die andere viel jünger mit Hamsterbäckchen und kurzem Männerhaarschnitt – kümmerten sich um den fetten Mann. Sie beeilten sich nicht sonderlich, sondern
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