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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux
Autoren: Philippe Djian
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    T rotz der schmerzlichen Prüfung, die ich zur Zeit durchmache und die selbstverständlich nur der verdiente Lohn für mein Verhalten ist, kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen, wenn ich bedenke, was für ein Schwachkopf ich war. Aber dieses Lächeln steht sämtlichen Grimassen der Welt in nichts nach.
    Ich habe Eléonore erklärt, wie es ausschaut. Ich wollte nicht, daß sie glaubt, ich verzöge mich bei der erstbesten Gelegenheit in den Schatten und ließe mich gehen und sei heiterer Stimmung. Ich habe ihr gesagt, wie dumm ich mir vorkomme. Und daß ich mich ganz bedrückt fühle.
    »Aber weißt du, das ist bei jedem anders … Es gibt bestimmt einige, die würden an meiner Stelle anfangen zu heulen oder sich die Haare ausraufen … Na ja, ich nehme es an …«
    Evelyne meinte, das hätte ich mir ganz allein eingebrockt. Sie ist die letzte, die mich trösten oder zumindest nach Einbruch der Dunkelheit mit ihrer Gegenwart beehren wird. Sie denkt, wir haben alle unsere Probleme. Und da hat sie recht.
    Eine ganze Woche ist vergangen, seit diese Sache ans Licht gekommen ist. Und ich sehe immer noch kein Land. Jahrelang habe ich geträumt, ich segle auf einem festen Schiff, kein Sturm könne es erschüttern und die Zeit mache es immer stärker, und einen Moment lang glaubte ich, ich könne über ein Riff rauschen, ohne daß mir das etwas anhaben könnte. Deshalb lächele ich. Die Schutzwälle, die ein Mann um sich errichten kann, haben die Abmessungen seines Sarges.
     
    Alljährlich zu Beginn des letzten Trimesters stehe ich auf der Dozentenliste von Saint-Vincent: »Henri-John Benjamin, Geschichte der Musik.« Ich komme mit dem Frühling, und mein Kurs interessiert kaum jemand. Aber daran habe ich mich gewöhnt.
    Ich mag diesen Bau, die lächerliche Strenge der polierten Hölzer und der vergoldeten Flächen, die finstere Miene von Marie Joseph Saint-Vincent (1823-1901) und den sanften Blick seiner Gattin, die einen am Eingang, über dem Getränkeautomaten, willkommen heißen. Meist langweile ich mich dort, aber auf eine angenehme Weise. Ein wenig wie in einem Schaumbad.
    Der Direktor der Schule ist ein glühender Verehrer meiner Frau. Als ich vor fünf Jahren in seinem Büro vorstellig wurde, brauchte ich mich nicht lang und breit über meine Fähigkeiten auszulassen: die Sache war hinter meinem Rücken längst geregelt worden, und der gute Mann ließ meine Hand gar nicht mehr los.
    »Willkommen auf Saint-Vincent!« sagte er zu mir. »Ihre Frau ist eine ganz erstaunliche Person …!«
    Seither hat sich unser Verhältnis ein wenig verschlechtert. Ich habe mich nämlich nicht gesträubt, bei gewissen internen Vorgängen die Führung zu übernehmen. Dieses Leben ist ein Kleinkrieg. Der Getränkeautomat zum Beispiel, das war ich.
    Was mich an jenem Morgen vor seine Tür führte, betraf die Einrichtung in den Duschen.
    »Nur zu, Henri-John«, seufzte er. »Schießen Sie los …«
    Ich setzte mich. Manchmal war mir das zu einfach. Ich hatte den Mund noch nicht aufgemacht. Und ich zollte seiner Frau keine sonderliche Bewunderung.
    »Nun, ich höre … Was haben Sie jetzt schon wieder ausgeheckt?«
    Das war nicht nur eine Sache zwischen ihm und mir. Ich will nicht leugnen, daß es mir diebisches Vergnügen bereitete, ihm das Leben schwerzumachen (wenn er meinte, daß der Dank oder das bloße Lächeln von Edith Benjamin es wert waren, diese Nervensäge von Ehemann zu ertragen, tja, das mußte er selbst wissen …). Je nachdem, wie ich ihm die Sache präsentierte, lief er rot an oder wurde bleich, oder er tigerte um mich herum und sagte immerzu, ich hätte den Verstand verloren. Oder er baute sich vor seinem Fenster auf, sagte keinen Ton und rührte sich nicht mehr. In so was war Edmond Heissenbüttel perfekt. Aber ich hätte bei jedem andern genauso gehandelt.
    Meine Lage als Lehrer war nicht gerade beneidenswert. Mein Kurs war nicht besonders wichtig (Notengewicht 0,5). Das störte mich nicht weiter, aber mein Büro war das Zentrum sämtlicher Konspirationen, meine Tür stand dafür immer offen. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, ob diese ganze Agitation einen Sinn hatte. Jeder wußte, wo ich zu finden war. Und mehr verlangte ich nicht.
    »Was?! Jetzt auch noch Haartrockner …?« rief er aus.
     
    Ich machte mir keine Gedanken über die Triftigkeit der Anliegen, die ich ihm unterbreitete. Das war nicht meine Rolle, und meist interessierte es mich gar nicht. Ich war eine Art Soldat, ohne
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