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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot
Autoren: Gordon Reece
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schlenderten ruhig zu ihm hin; lächelnde, erfahrene Profis, die wussten, wie wichtig es war, Ruhe zu bewahren und nichts zu überstürzen. Unterdessen begann der Fahrer, ein schlaksiger Jugendlicher mit grauenhafter Akne, die Ausrüstung auszuladen: einen Sauerstoffzylinder und Plastikschläuche mit einer Art Tüte daran, eine schwarze Kiste, die an einen Gitarrenverstärker erinnerte und deutlich schwerer zu sein schien, als sie aussah.
    Mum tanzte um die beiden Sanitäterinnen herum und spielte die entsetzte Hausbesitzerin, deren ruhiger Samstagmorgen durch diese unerwartete menschliche Tragödie erschüttert worden war. Sie beantwortete die Fragen mit gut gespielter Besorgnis.
Wann ist er zusammengebrochen? Vor zehn – nein, vor fünfzehn Minuten. Haben Sie ihn wiederbelebt? Leider nicht, ich weiß nicht wie, tut mir leid … Haben Sie ihn von der Stelle bewegt? Nein, das hätte ich nicht gewagt …
Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass sie ihnen eine Lüge nach der anderen auftischte.
    Mit einer einzigen, perfekt aufeinander abgestimmten Bewegung drehten die Sanitäterinnen den fetten Mann auf den Rücken. »Kein Puls, kein Atem«, verkündete die Blondierte nüchtern, als machte sie eine beiläufige Bemerkung über das Wetter.
    Ich wollte mir nicht die ganze Farce ansehen, hielt es aber auch für unklug, einfach zu verschwinden. Bloß keinen Verdacht erregen. Also ging ich wieder ins Haus, blieb aber in der Nähe der Tür. Ich spielte die Rolle der empfindsamen Sechzehnjährigen, die etwas so Rohes und Brutales wie einen Kampf um Leben und Tod nicht mit ansehen konnte. In Wirklichkeit wollte ich einfach nur, dass sie verschwanden und die Leiche mitnahmen. Danach wäre alles vorbei. Der lange Albtraum wäre endlich vorüber. Das unglaubliche Glück, das uns den Herztod des fetten Mannes beschert hatte, und Mums Geistesgegenwart hatten uns aus dem komplizierten Labyrinth befreit, in dem wir uns verirrt hatten. Ich wollte einfach nur mit Mum allein sein, um unsere wundersame Rettung zu feiern.
    Ich lehnte mich an die Wand, schaute gelegentlich auf die Uhr und kratzte mit dem Daumennagel nervös an der Tapete. Warum brauchten sie so lange? Sahen sie denn nicht, dass er tot, tot,
tot
war? Ich warf einen Blick nach draußen, wo Hamsterbäckchen gerade das gelbe T-Shirt des Mannes mit einer großen Schere aufschnitt und ein Dickicht aus grau meliertem Haar, den geschwollenen weißen Bauch und die dicken Brüste mit den riesigen rosa Warzen freilegte.
    Als ich ein paar Minuten später wieder nach draußen sah, stöpselte die Blondierte gerade Kabel in den schwarzen Kasten, an dem eine grüne Lampe blinkte.
    Mum drehte sich zu mir und schaute mich noch immer mit dem Blick der entsetzten Hausbesitzerin an, als wollte sie sagen:
Ist das nicht furchtbar, Shelley? Der arme, arme Mann!
Dann wandte sie sich wieder zu den Sanitäterinnen, eine Hand besorgt vor den Mund geschlagen.
    Die Blondierte hielt jetzt zwei Platten, die aussahen wie flache Bügeleisen, über den Kopf, während Hamsterbäckchen dem fetten Mann die Rolex, das Namensarmband und den Kupferreifen auszog. Sobald die Lampe von Grün zu Orange wechselte, drückte sie die Platten fest auf seine Brust. Die Arme und Beine des fetten Mannes zuckten konvulsivisch, als erlitte er einen epileptischen Anfall. Die Blondierte machte sich bereit für den nächsten Stromstoß.
    Es war ein abstoßender Anblick, als die Gliedmaßen der Leiche zuckten und sich verkrampften, doch gleichzeitig hätte ich am liebsten losgelacht. Ich drehte mich weg, damit sie mein Grinsen nicht sahen, und ging in die Küche. Dort stand ich und wartete, bis sich das Kichern gelegt hatte. Ich starrte auf den Frühstückstisch, ohne irgend etwas wahrzunehmen, und wünschte, die Zeit möge schneller vergehen.
    Nun, da ich in Ruhe nachdenken konnte, überkam mich eine neue Sorge – dass der Mann früher gestorben war, als wir den Sanitätern gesagt hatten. Ich rechnete mit einer Dreiviertelstunde. Hatten die Sanitäterinnen irgendetwas Verdächtiges an der Leiche bemerkt? War ihnen sofort aufgefallen, dass der fette Mann länger tot war, als wir angegeben hatten? Wann setzte gewöhnlich die Leichenstarre ein? Bei Paul Hannigan war es innerhalb von zwei Stunden geschehen – konnte das auch früher passieren? War das der entscheidende Hinweis, der uns verraten würde? Strich der schlaksige Junge vielleicht in diesem Augenblick über den Wagen des Erpressers und bemerkte, dass der Motor kalt
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