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Mucksmäuschentot

Mucksmäuschentot

Titel: Mucksmäuschentot
Autoren: Gordon Reece
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Erstaunlich!«
    Er strahlte Mum an, doch sie war unschlüssig und konnte kaum seinem klaren blauen Blick begegnen.
    »Gewohnheit, nehme ich an«, sagte sie trocken.
    »Muss wohl so sein«, meinte er lachend und hakte den Daumen in die Hosentasche. »Muss wohl so sein. Trotzdem ist es ist unglaublich, oder?«
    »Ja«, sagte Mum zögernd, »kaum zu fassen.«
    Der Polizist schaute noch einmal belustigt zu dem Wagen, schüttelte den Kopf über die sonderbaren Dinge, die ihm bei der Arbeit begegneten, und kehrte zum Streifenwagen zurück.
    »Wir schicken heute Abend jemanden, der ihn abschleppt«, rief er noch. »Sie möchten ihn sicher nicht wochenlang in der Einfahrt stehen haben!«
    Mit diesen Worten ließ er den Motor an, tippte scherzhaft an seine Mütze und fuhr davon.

45
    Am nächsten Tag, dem Sonntag, schliefen Mum und ich aus. Wir verzichteten auf die übliche Routine und verwöhnten uns mit einem riesigen Frühstück – Eier, Speck, Pilze und gebratene Tomaten –, das wir am Küchentisch aßen, während wir die Beilagen der Sonntagszeitungen studierten.
    Mum wirkte zehn Jahre jünger. Die Erschöpfung und furchtbare Anspannung vom gestrigen Morgen waren aus ihrem Gesicht verschwunden.
    »Hast du gut geschlafen?«
    Sie lächelte übers ganze Gesicht. »Sehr gut, danke, wirklich gut. Wie ein Baby.«
    Ich lächelte auch. Mum konnte wieder schlafen. Ein gutes Zeichen.
    Der ganze Tag hatte etwas Magisches, fast wie Weihnachten. Nach allem, was gestern geschehen war und was wir seit den frühen Morgenstunden des 11 . April durchgemacht hatten, nach der schwindelerregenden Achterbahnfahrt, in die sich unser Leben verwandelt hatte, genossen wir die ungeheure Erleichterung, dass es nun vorbei war.
    Ich war selig. Ich kam mir vor wie die Überlebende eines Schiffbruchs, die wochenlang in einem offenen Rettungsboot übers Meer getrieben ist, inmitten von Stürmen und haushohen Wellen, und die dann doch entgegen aller Wahrscheinlichkeit gerettet wird und sich, in Decken gehüllt und mit einem warmen Getränk in der Hand, vor einem prasselnden Feuer wiederfindet. Ich kostete jedes noch so kleine, banale Detail meiner Umwelt aus, als wäre es ein Wunder: wie sich die Milchwolke ausbreitete und ihre Tentakel in die dunklen Tiefen meines Kaffees streckte; die Staubpartikel, die wie winzige Sonnensysteme im hellen Licht kreisten, das durchs Küchenfenster fiel; die mikroskopisch kleinen roten Adern auf Mums gesenkten Augenlidern, als sie die Zeitung las; die fernen Kirchenglocken, die zu einem einzigen schwachen, kristallenen Ton verschmolzen und von einer idyllischen Postkarten-Vergangenheit zu künden schienen. Das alles kostete ich aus, das alles liebte ich, einfach weil es da war.
    Wir zogen uns erst um elf Uhr an und setzten uns danach wieder an den Küchentisch, lasen weiter Zeitung und kochten noch eine Kanne Kaffee.
    Wir sprachen kaum über die Ereignisse von gestern, nur dann und wann ging uns ein Gedanke durch den Kopf, den wir miteinander teilten.
    »Meinst du, der Erpresser hat die Wahrheit gesagt?«, fragte ich. »Ob er wirklich niemandem gesagt hat, dass wir Paul Hannigan getötet haben?«
    Mum dachte darüber nach. »Ich glaube schon. Er hat uns auch die Wahrheit über seine Herzkrankheit gesagt.«
    »Und dass Paul Hannigan keine engen Verwandten hat, die nach ihm suchen werden?«
    »Schwer zu sagen. Er konnte sich ja nur auf das verlassen, was Hannigan ihm erzählt hat. Mein Bauch sagt mir jedenfalls, dass es vorbei ist. Das glaube ich wirklich.«
    Kurz darauf rief sie aus: »Stell dir vor, ich hätte ihn getroffen, Shelley! Dann hätten wir seine Leiche
und
das verdammte Auto loswerden müssen.
Stell dir das vor!
«
    Ich schüttelte den Kopf. Ein entsetzlicher Gedanke, dass wir um ein Haar noch einmal dieses Grauen hätten durchmachen müssen. Was um Himmels willen hätten wir mit der Leiche des fetten Mannes anfangen sollen? Sie im Garten vergraben? Vielleicht im Gemüsebeet? Und was hätten wir mit dem Auto getan? Es irgendwo abgestellt, was sehr gefährlich gewesen wäre, oder es in einem der Schächte im Nationalpark versenkt, wie ich vorgeschlagen hatte? Ich durfte gar nicht daran denken …
    »Zum Glück hattest du kein Zielwasser getrunken«, scherzte ich, aber Mum lachte nicht.
    »Es ist wie ein
Wunder
«, sagte sie. »Ich meine, wie konnte ich ihn auf diese Entfernung verfehlen? Die Waffe berührte fast seinen Hals. Es ist einfach unmöglich, Shelley.«
    Später fiel mir unser Gespräch von
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