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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Autoren: Helen Simonson
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liege.«
    »Na ja, du hast mir wirklich einen Schrecken eingejagt!« Roger legte die Zeitung zusammen, als hätte ihn das kurze Aufflackern seiner Zuneigung peinlich berührt. »Du warst immer ein Fels in der Brandung meines Lebens, und plötzlich bist du ein alter Mann und hängst an Schläuchen. Ziemlich heftig.«
    »Für mich sogar noch etwas heftiger«, sagte der Major. Einige Sekunden lang rang er mit der Entscheidung, ob er die Fragen stellen sollte, deren Beantwortung er vielleicht gar nicht ertragen würde. Er spielte mit dem Gedanken, Schlaf vorzutäuschen, um die schlechte Nachricht hinauszuzögern. Und schlecht musste sie sein, dachte er, denn nichts deutete auf weitere Besucher hin. Er versuchte, sich aufzusetzen. Roger drückte einen Knopf in der Wand, und das Bett hob ihn in eine halb sitzende Position.
    »Ich will es wissen«, sagte er, aber er schien sich an seiner eigenen Stimme zu verschlucken. »Ich muss es wissen. Ist Abdul Wahid gesprungen?«
    »In Anbetracht der Tatsache, dass er auf meinen Vater geschossen hat, wäre mir das völlig egal gewesen«, erklärte Roger. »Aber offenbar hat er sich zu Boden geworfen, als du über den Klippenrand gerutscht bist, und dich gerade noch rechtzeitig zu fassen gekriegt. Es war auf des Messers Schneide, haben sie gesagt, vor allem wegen dem Wind und der rutschigen Nässe, aber dann hat sich irgend so ein Typ namens Brian auf Abdul geworfen, und dann kam irgendein anderer Typ mit einem Seil und so, und sie haben dich zurückgezogen und auf eine Krankentrage gelegt.«
    »Er ist also am Leben?«, fragte der Major.
    »Ja, das schon, aber es gibt leider auch eine sehr schlechte Nachricht, die ich dir mitteilen muss. Eigentlich wollte ich damit noch ein bisschen warten …«
    »Ist Amina tot? Seine Verlobte?«
    »Ach, das gestricknadelte Mädchen? Nein, die ist auf dem Weg der Besserung. Sie sind gerade alle oben bei ihr in der Frauenchirurgie.«
    »Wer sind ›alle‹?«
    »Mrs. Ali, Abdul Wahid und dieser George, der mir ständig Münzen für irgendwelche Automaten abschwatzt. Und dann noch diese Tante – Noreen, glaube ich – und Abduls Eltern. Man könnte meinen, halb Pakistan hält sich da oben auf.«
    »Und Jasmina ist auch dort oben?«
    »Immer nur, solange sie es erträgt, nicht bei dir zu sein. Als ich gestern Abend kam, waren sie noch dabei, sie von dir wegzuzerren. Sie lässt sich einfach nicht abwimmeln.«
    »Ich werde um ihre Hand anhalten«, sagte der Major in schroffem Ton. »Und es ist mir völlig egal, was du darüber denkst.«
    »Reg dich bloß nicht auf! Besagter Hoden ist noch in einem Streckverband«, entgegnete Roger.
    »Wer ist in einem Streckverband?« Jasmina kam hinter dem Vorhang hervor, und der Major spürte, dass er rot wurde. Sie trug einen Shalwar Kamiz in einem an weiche Butter erinnernden Gelb und lächelte ihn strahlend an. Ihr Haar war feucht, und sie roch nach Karbolseife und Zitronen.
    »Dann sind Sie also doch endlich nach Hause gefahren und unter die Dusche gegangen?«, fragte Roger.
    »Die Oberschwester meinte, mit meinen blutbefleckten Sachen würde ich alle Besucher verschrecken. Ich durfte die Ärztedusche benutzen.« Sie trat an das Bett des Majors, und sofort fühlte er sich wieder so schwach wie an dem Tag, an dem sie ihn aufgefangen hatte, als er wegen der Nachricht von Berties Tod in Ohnmacht gefallen war.
    Er ergriff ihre warme Hand. »Abdul Wahid ist nicht gesprungen.« Mehr brachte er nicht heraus.
    »Nein.« Sie umfasste seine Hand und küsste ihn auf die Wange und dann auf den Mund. »Und jetzt hat er dir sein Leben zu verdanken, und das können wir dir nie vergelten.«
    »Wenn er es mir vergelten will, soll er einfach schleunigst heiraten«, sagte der Major. »Der Knabe braucht eine Frau, die ihm sagt, wo’s langgeht.«
    »Amina ist immer noch ziemlich schwach, aber wir hoffen, dass sie noch hier im Krankenhaus heiraten können. Mein Schwager und meine Schwägerin haben geschworen, so lange hierzubleiben, bis alles erledigt ist.«
    »Das klingt wunderbar.« Der Major wandte sich an Roger, der an seinem Handy herumspielte. »Aber du hast vorhin eine schlechte Nachricht erwähnt.«
    »Das stimmt, Ernest«, sagte Jasmina. »Du musst dich auf einiges gefasst machen.« Sie sah zu Roger hinüber. Der nickte, als hätten die beiden lange darüber gesprochen, wie man einem Kranken etwas Grauenvolles beibringt. Der Major hielt die Luft an und wartete auf den Schlag.
    »Es geht um das Churchill-Gewehr, Dad«, sagte
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