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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Autoren: Helen Simonson
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Ahnung, wie es ist, wenn man ohne Vater aufwächst, und die Hälfte von denen kann den eigenen Vater nicht ausstehen.« Sie schwieg. Der Major dachte an die Unnahbarkeit seines Vaters.
    »Ich glaube, selbst wenn ein Kind seine Eltern nicht mag, hilft es ihm doch, sie zu kennen, weil es dann weiß, woher es kommt«, wandte er ein. »Wir messen uns mit unseren Eltern, und jede Generation versucht, es ein bisschen besser zu machen.« Noch während er sprach, fragte er sich einmal mehr, ob er bei Roger versagt hatte.
    »George wird beide Eltern haben, nur eben nicht unter ein und demselben Dach. In der Stadt hat er mich und seine Tante Noreen und hier in Edgecombe seinen Vater und Jasmina. Und ich hoffe, Sie besuchen ihn auch ab und zu. Er muss doch Schachspielen lernen.«
    »Jasmina hat so sehr für euch beide gekämpft«, sagte der Major leise. »Sie wird völlig am Boden zerstört sein.«
    »Manchmal lässt sich eben nicht alles in Ordnung bringen«, entgegnete Amina. »Das Leben ist nicht immer ein Roman.«
    »Nein.« Der Major betrachtete die hässlichen Deckenplatten aus grobkörnigem Styropor, doch auch von dort kam keine Idee, wie er Amina umstimmen könnte.
    »Ich weiß, was Jasmina für uns getan hat. Und George soll die größte Familie haben, die er nur kriegen kann.«
    »Ich spreche nicht gern für andere«, sagte der Major. »Aber ich hatte noch keine Gelegenheit, Jasmina einen offiziellen Heiratsantrag zu machen.«
    »Sie alter Lüstling – wusste ich’s doch, dass ihr abgehauen seid, um es irgendwo miteinander zu treiben!«
    »Von Ihrer vulgären Ausdrucksweise will ich vorerst absehen, junge Dame«, erwiderte der Major im strengstmöglichen Ton, »und Ihnen versichern, dass Sie und George in Zukunft jederzeit bei uns willkommen sind.«
    »Für einen alten Knacker sind Sie ein echt guter Mensch!« Amina stand auf, beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Stirn. Der Major sah ihr nach, als sie den schummrigen Korridor hinunterging und der lange Schatten ihrer Beine über das wässrig glänzende Linoleum tanzte. Wieder einmal erstaunte es ihn, wie ähnlich Liebe und Schmerz sich anfühlen können.

[home]
    Epilog
    V on der Bibliothek aus, die inzwischen »Das Frühstückszimmer des Gutsherrn« genannt wurde, sah man alles, was sich auf der Terrasse und dem Rasen des Herrenhauses abspielte. Der Major hatte einen ausgezeichneten Blick auf Mrs. Rasool, die, mit einer safrangelben Jacke und einer weiten, zartgrünen Hose prächtig gekleidet, lautstark und ungeniert in ein winziges schwarzes Headset hineinschimpfte. Das Mikrophon saß wie eine dicke Fliege auf ihrer Wange. Sie fuchtelte mit einem Klemmbrett herum, während zwei Gehilfen im Smoking herbeieilten, um weitere Gäste zu den weißen Klappstühlen zu führen, die halbkreisförmig vor einem niedrigen Podium angeordnet waren. Darüber hatte man ein schlichtes weißes Segeltuchzelt errichtet, das in der leichten Brise des Mainachmittags flatterte. Der Major, der halb versteckt hinter dem hellen Vorhang hinausspähte, war froh über die paar Minuten innerer Einkehr vor der Trauung. Es sollte eine kleine, bewusst zwanglose Zusammenkunft von Freunden sein, und alles, selbst das wunderbare Wetter, spielte mit. Dennoch sah er den Festivitäten wie einem heranrollenden Gewitter entgegen und wappnete sich gegen die Förmlichkeiten, die gleich auf ihn einprasseln würden.
    Jemand trat in den Raum. Er drehte sich um und sah Jasmina hereinhuschen und sanft die Tür schließen. Sie trug eine Jacke und eine Hose aus alter Seide, die in der rubinroten Wärme teuren Portweins leuchtete. Ein spinnwebdünnes Tuch in zartem Wedgwood-Blau umhüllte ihren Kopf, als wäre sie ein Traumbild. Leise ging sie in ihren flachen Pantoletten über den Teppich und blieb vor dem Major stehen.
    »Du darfst doch gar nicht hier sein«, sagte er.
    »Ich finde es falsch, nicht einmal mit der winzigkleinsten Tradition zu brechen.« Lächelnd ergriff sie seinen Arm, und eine Zeitlang sahen sie gemeinsam schweigend zu, wie sich die Gäste versammelten.
    Roger sprach mit den Musikern, einer Harfenistin und zwei Sitarspielern und strich dabei mit der Hand über die Sitarsaiten. Wahrscheinlich, mutmaßte der Major, überprüfte er die Stimmung der Instrumente und tat seine Meinung über die Auswahl der Stücke kund. Die Stuhlreihen auf der Seite des Bräutigams füllten sich allmählich, wobei die Männer von den riesigen, sich ständig hin und her bewegenden Hüten zum größten Teil
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